«Schweizer sind viel netter, als ich dachte»

Jedes Semester heisst unsere Universität bis zu 400 Austauschstudenten in St. Gallen willkommen. Mit fünf von ihnen hat sich prisma in lockerer Atmosphäre über ihren Trip an die HSG unterhalten.

Vor einiger Zeit habe ich eine Einladung zur Geburtstagsparty dreier Austauschstudenten erhalten. Es ist Samstagabend kurz vor Mitternacht und ich stehe vor dem «Party-Haus» in Rotmonten. Ich öffne die angelehnte Haustüre und laufe in den zweiten Stock hoch. Eine Gruppe Austauschstudenten begrüsst mich. Es stellt sich im Laufe einer kurzen Vorstellungsrunde heraus, dass Yuri und Satoshi aus Japan sind, Vincent aus Frankreich und Yannick aus den Niederlanden. Ich nutze die Gunst der Stunde und frage die Gruppe, ob sie bereit wären ein Interview mit mir zu führen. Alle sind einverstanden. Ich suche sie auf Facebook, um sie später zu kontaktieren. Scherzend füge ich hinzu, dass mir jetzt nur noch ein Afrikaner fehle. Sekunden später stehe ich vor dem Tunesier Hatem und frage auch ihn nach seinem Facebook-Namen.

HSG für den CV

Es ist Montagabend. Um 20 Uhr treffe ich mich mit der Gruppe im Adhoc. Ein paar Fragen habe ich vorbereitet, jedoch entwickelt sich schon bald von alleine ein engagiertes Gespräch unter den Studenten.
«Ich musste mich davon überzeugen, dass ich an meine Zukunft denke», ist Yannicks Antwort auf die Frage nach der Motivation, an die HSG zu kommen. Hatem schiebt nach, dass seine Entscheidung klar war, nachdem er das Ranking der HSG im MBF sah. Vincent bestätigt das mit einem Nicken. Satoshi und Yuri hingegen geniessen den praktischen Ansatz der HSG, denn Tokyo sei viel theoretischer orientiert.
Einigkeit herrscht in ihrem Urteil über das Bidding: «Man könnte auch einfach eine Partie Tischtennis über die Kurse spielen, es würde genauso viel Sinn ergeben.» Zudem empfinden die Austauschstudenten viele Kurse als zu langatmig, was sie hingegen schätzen, sind die 15-minütigen Pausen, welche vor allem im asiatischen Raum selten sind.
Studenten in St. Gallen seien viel kompetitiver und motivierter als diejenigen an anderen Unis. Vincent formuliert es folgendermassen: «Und ihr lernt. Und ihr öffnet Bücher, und ihr lernt Zeug.» In Japan hingegen sieht man das Leben als ständige Ausbildung an und dadurch ist der Fokus auf die Uni nicht ganz so stark. In Frankreich und in den Niederlanden sind Noten bedeutsam, viel wichtiger ist allerdings das persönliche Profil und das Netzwerk, welches man sich aufbaut. Einzig Hatem widerspricht: Kanadier seien ähnlich strebsam, wobei das System der Uni sich vollkommen von dem in St. Gallen unterscheide. Dieses ähnle jenem in Tunesien, wobei die dortige Infrastruktur nicht mit der unseren vergleichbar sei.
Ganz befremdlich finden sie die Masse an Studenten in der Bib. «Ich war da letzte Woche, und die bleiben da tatsächlich den ganzen Tag um zu lernen. Das macht mir echt Angst.» Der Niederländer erzählt, dass sie an ihrer Uni das gleiche Phänomen beobachten – betitelt als «The Run of the Germans». Mit eigenen Augen gesehen, habe er es nie, denn um acht Uhr morgens sei er selten an der Uni anzutreffen.

«Made in Switzerland»

Schweizer sind im Ausland anscheinend nicht als ein sehr herzliches Volk bekannt. Viele waren davon überrascht, wie nett die Schweizer tatsächlich sind. Auf das teure Pflaster Schweiz hatten sich alle schon im Vorhinein eingestellt. Belustigend finden sie auch, dass dem Label «Made in Switzerland» ein solch hoher Stellenwert zugemessen wird. Zudem sei es unglaublich auffällig, wieviele Kühe in St. Gallen unterwegs sind. Das sei ihnen noch in keiner Stadt passiert. «Sogar hinter der Sporthalle hat es Kühe.»
Als die Olma angesprochen wird, müssen alle lachen. Den Hype um die Messe verstehen sie nicht ganz, und abgesehen von dem Schweinerennen finden sie das Geschehen mässig interessant. «Alle waren so aufgeregt, und ich versteh es einfach nicht. Sie verkaufen Waschmaschinen und so Zeug. Es ist wie Eintritt zahlen für Ikea.»
Bezüglich der Gestaltung des Abendprogramms herrscht Konsens über die schockierend hohen Preise des Biers. In Tunesien wird jeden Abend etwas geboten: In den Clubs wird bis drei Uhr morgens gefeiert. Danach zieht man weiter zur orientalischen Party, an welcher man bis Tagesanbruch verbleibt. «Sehen und gesehen werden» ist das Motto. In Kanada hingegen ist um zwei Uhr morgens «Schicht im Schacht» und das auch nur an jeweils zwei Tagen in der Woche.

Von Plastikjacken und Discopumpern

Das Klischee der HSG ist wenig bekannt unter den Austauschstudenten. Aber es schlägt sich nieder in ihren Beobachtungen. Jemand lässt durchblicken, dass seine Mitbewohner aus besseren Verhältnissen stammen und es bei einem späteren Eintritt ins Berufsleben vergleichsweise leicht haben werden.
Der Tunesier meldet sich zu Wort und sagt, dass die Leute in St. Gallen besser angezogen seien als in Québec, wo er im Moment seinen Master mache. Der Niederländer und der Franzose widersprechen ihm vehement und kritisieren den Kleidungsstil aufs Schärfste. «Alle Deutschen ziehen aus irgendeinem Grund Skinny-Jeans an, was total lächerlich aussieht. Und rasieren sich dann die Haare auf den Seiten ab – ein sehr befremdliches Phänomen.» Die Wahl des Beinkleides wäre gar nicht so schlimm, wenn die Studenten sich im Gym nicht nur auf den Oberkörper fokussieren würden. Lachend sagt jemand: «Die sehen alle aus wie Dreiecke.» Zudem erinnern die Jacken der Deutschen stark an Plastiktaschen und «Superdry» sei viel zu prominent vertreten. Die Japaner werden auf die Bekanntheit der Marke in ihrem eigenen Land angesprochen. Yuri klärt auf, dass «Superdry» entgegen landläufigem Verständnis keine japanische Marke sei.
Irgendwann driftet das Gespräch ab zu den Unterschieden zwischen den verschiedenen Ländern und Universitäten. Hatem lässt alle etwas perplex dasitzen, als er die Höhe der Studiengebühren in Tunesien erwähnt. Diese belaufen sich auf stolze zehn Euro pro Jahr. In Frankreich und den Niederlanden werden Studenten vom Staat finanziell stark unterstützt. Von Reiseboni bis hin zu Negativzinsen bei Krediten ist so ziemlich alles dabei.
Abschliessend frage ich die Gruppe nach Schweizer Begebenheiten, welche für sie anders oder überraschend waren. Für die meisten ist es die Korrektheit der Schweizer: «Die Leute warten tatsächlich an einer roten Ampel.»


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