Spitze auf der Haut

Wer sich tätowieren lässt, gibt einem oft fremden Menschen das Recht, sich auf der eigenen Haut zu verewigen. Um diesem Menschen ein wenig näher zu kommen, hat sich prisma mit einem erfahrenen Tätowierer über seinen doch sehr ungewöhnlichen Beruf unterhalten.

Tätowierungen liegen im Trend. In der Schweiz sind über 40 Prozent der 18 bis 35-Jährigen tätowiert. Reden wir über Tattoos, dann diskutieren wir über die Motive und ihre Bedeutung, mögliche Körperstellen und was wir sicher nie machen würden. Doch selten reden wir über den Tätowierer selbst. Diesem uns oft unbekannten Menschen erlauben wir, unsere Haut zu malen mit Tinte, die nie mehr oder nur sehr schmerzhaft entfernbar ist. Und genau aus diesem Grund ist Verantwortungsbewusstsein eine wichtige Voraussetzung für einen guten Tätowierer, sagt Pele (im Bild mit seinem Team oben in der Mitte). Er ist Besitzer des Skin Deep Art Tattoo-Studios in der St. Galler Altstadt und selbst seit 23 Jahren im Geschäft.

Kunst tief in der Haut

Um einmal hinter die Kulissen schauen zu dürfen, habe ich mich mit Pele in seinem Studio zu einem Gespräch getroffen. Wir sitzen in der Mitte des offenen Raumes mit verschiedenen Arbeitsplätzen um uns gestreut. Es ist bereits Abend und nur noch wenige Kunden sind im Geschäft. Direkt hinter mir ist ein violetter Vorhang gezogen. Dahinter höre ich zwei Frauenstimmen und das erstaunlich laute Surren der Tätowiermaschine, deren Nadel gerade in die Haut sticht. Schmerzensschreie höre ich aber keine. Das Ganze hört sich eher an wie zwei Freundinnen zusammen beim Kaffeeklatsch.
Pele sitzt mir gegenüber in einem karierten Hemd, die beiden Ärmel hochgekrempelt. Die obersten Hemdknöpfe sind geöffnet und ich sehe den Ansatz einer flächendeckenden, bunten Tätowierung auf seinem Brustkorb. Ein Frauenauge zwinkert knapp hervor. Schmunzelnd erzählt er mir von seinen Sturmjahren, die ihn schlussendlich in dieses Business geführt haben. Schon in der Schule zeigte er sich künstlerisch begabt und hatte danach eine Ausbildung zum Graveur gemacht. Mit 26 Jahren nahm ihn ein befreundeter Tätowierer mit auf eine Tattoo-Messe und eröffnete ihm eine ganz neue Welt. Die erste eigene Tätowierung folgte bald. Peles Freund erkannte das Talent in ihm und nahm ihn in die Ausbildung.

Von Rechten und Pflichten

Für Pele ist nebst Verantwortungsbewusstsein auch wichtig, dass seine Tätowierer Herzblut besitzen und den eigenen, inneren Antrieb, sich verbessern zu wollen. Auch nach 23 Jahren lässt Pele sich konstant weiterbilden, auch in unternehmerischer Hinsicht. Die grösste Herausforderung sei die Führung seiner ausnahmslos jungen Künstler, mit sehr eigenen Persönlichkeiten. «So wie mein Vater kann ich diese Crew hier nicht führen!», lacht Pele. Eine seiner jungen Mitarbeiterinnen sitzt uns gegenüber und schmunzelt während dem Gespräch immer mal wieder in meine Richtung. Die Stimmung ist locker, der Umgang sehr freundschaftlich.
Dennoch ist laut Pele auch hier ein Generationsunterschied spürbar «In dieser Generation kennen alle ihre Rechte, aber über Pflichten wird erstmals geschwiegen», und an diese Pflichten müsse er seine Mitarbeiter sorgfältig erinnern. Das geht laut Pele in diesem Business aber nur auf eben diese freundschaftliche, fast schon familiäre Weise, denn schlussendlich sei man aufeinander angewiesen. Und an Herausforderungen fehlt es in diesem Beruf nicht. Oft sind es die Kunden.
«Manchmal denke ich, jetzt habe ich wirklich alles gesehen, aber die Kunden überraschen mich immer wieder», staunt Pele. Wenn er die Motivation verstehe und hinter dem Motiv stehen könne, dann setze er dieses auch um. Ansonsten lehnt er den Auftrag ab. Ein Tätowierer übernehme viel Verantwortung gegenüber dem Kunden, denn er wisse einfach mehr, und «wer mehr weiss, der übernimmt die Verantwortung».

Der Hintergrund ist heute wichtig

Früher, erzählt Pele, hatten sie im Studio eine ganze Wand vollgeklebt mit Motiven, vom Delfin bis zum Herzchen, und der Kunde hat sich eines ausgesucht. Heute hat das Internet diese Wand ersetzt. «Die Wünsche sind heute viel individueller. Kunden sind besser informiert und vorbereitet, haben schon alles recherchiert und kommen oft mit genauen Vorstellungen oder auch Bildern.» Diese Vorstellungen dann auf die Haut zu übersetzen, ist die Herausforderung für den Tätowierer. Doch auch in der Motivation sieht Pele einen Unterschied. Früher sei der Schritt zum ersten Tattoo viel schneller und mit weniger Hintergedanken gemacht worden. Dabei ging es weniger um das Motiv selbst, sondern um das Tätowiert sein. «Hauptsache plakativ», meint Pele.
Heutzutage ist das Tattoo selbst kein so grosses Statement mehr, und der Hintergrund dafür umso mehr von Bedeutung: Die Menschen zeigen, was ihnen wichtig ist, was sie erlebt haben. «Manchmal ist es wie ein Tagebuch, in dem sich eine Geschichte abhandelt. Tätowieren hat sich zum Lifestyle gewandelt,» meint Pele. Unter seinen Kunden finden sich alle Schichten der Gesellschaft wieder, vom Arbeitslosen bis zum Banker. Auch HSG-Studenten sind dabei, und Professoren. Einer habe sich sogar ein ganz grosses Motiv tätowieren lassen. Welcher das ist, will Pele mir aber nicht verraten.

Üben auf der Haut

Bei Pele lernen die Auszubildenden direkt an der lebendigen Menschenhaut. Von Schweinehaut oder Nachahmungen hält er nichts, denn das sei eben nicht das gleiche. Schon nach dem ersten Monat erwartet er, dass das erste, kleine Motiv am lebenden Model gestochen wurde. Dafür fänden sich immer Freiwillige aus dem Freundeskreis. Oft wollen die jungen Tätowierer bald zu hohe Sprünge machen, was wiederum zu Überforderung und Fehlern führen kann. Doch auch diese sind notwendig. «Manchmal muss man auch unschöne Erfahrungen machen. Fehler passieren, denn wir sind alles nur Menschen.» Man solle diese nie schönreden oder totschweigen. Passiert ein Fehler, wird dieser sofort angesprochen, und die meisten Kunden reagieren sehr positiv. Das Schlimmste sei, wenn man nichts sagt, und der Kunde den Fehler dann selbst bemerke.

Rechtschreibfehler auf der Haut

Aber auch wenn der Tätowierer alles richtig macht, können Fehler geschehen. «Heute lassen wir uns die Skizze des Motives sogar unterschreiben, und dennoch kommt es vor, dass ein Kunde drei Tage später auf der Matte steht, und sagt, dass sein Tattoo falsch geschrieben ist.» Aus menschlicher Sicht kann Pele das verstehen. Oftmals sind die Kunden gerade beim ersten Tattoo sehr nervös. Manchmal kontrollieren sie es vorher im Internet, aber das hilft nur selten, sagt Pele: «Google einmal ein Thema und da findest du beide Seiten, und am Schluss weisst du eh nicht mehr, was gilt.»
Manchmal kann man die Fehler korrigieren, durch Über-Tätowieren oder auch Lasern. Um diese Fälle kümmert sich Pele dann persönlich. Es gibt auch Kunden, bei denen Pele von Anfang an merkt, dass ihr Wunsch so nicht umsetzbar ist. Das braucht viel Feingefühl und muss erlernt werden. Und es braucht Rückhalt. Niemand von Peles Leuten muss etwas machen, hinter dem er nicht stehen kann. Auch hier ist Verantwortungsbewusstsein gefragt. Es handelt sich eben nicht um eine blanke Leinwand, sondern um einen Menschen. «Sich einzuschreiben in der Haut eines anderen, ist ein Recht und muss entsprechend behandelt werden», stellt Pele klar.

Neu in Spitze

Fehlentscheidungen beim Tätowieren führt oft zu Cover-ups. Dass jemand ein altes Tattoo überdecken will, ist für Pele kein Problem: «Menschen und Geschmäcker ändern sich. Und auch heissgeliebte Tätowierungen können sich mit der Zeit mit der Haut zusammen verändern.» Er zeigt mir Vorher- und Nachher-Bilder, und ich bin überrascht wie weich und leicht diese neuen Motive wirken. Es wird viel mit Schattierung und Farbe gespielt. Das Resultat ist harmonisch, und lässt kaum Jugendsünden darunter vermuten. Interessanterweise liegt gerade bei Cover-ups die Spitze neu im Trend. Pele erklärt, dass sich Tattoo-Künstler oft von Mode-Trends inspirieren lassen. Spitze sei sehr gut geeignet. «Spitze ist zeitlos, ein bisschen chic und elegant, wie schöner Schmuck, aber auch ein bisschen sexy», meint Pele. Er ist davon überzeugt, dass Tätowierungen zu jedem Alter passen. Selbst kann er sich nicht vorstellen seine Tattoos jemals loswerden zu wollen: «Es ist erschreckend wie schnell man die eigenen Tattoos nicht mehr wahrnimmt. Sie gehören einfach zu dir. Und wenn die Haut erst einmal schwabbelt, ob farbig oder nicht, ist dann sowieso egal.»
Pele schätzt, dass er rund 150 Stunden Arbeit in seine Haut gesteckt hat: «Was ich erlebt habe, macht mich zu dem, was ich heute bin und da gehören die Tattoos dazu.» Für ihn sind Tattoos die letzte wahre Freiheit in unserer Gesellschaft. Denn mit unserem eigenen Körper dürfen wir immer noch machen, was wir wollen.

Bilder zvg


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