The Roommate Agreement – «Das gehört sich so nicht?!»

Zimmeraufteilung, Putzplan, wer kauft was – alles klar. Aber wie nackt ist zu nackt in einer Wohngemeinschaft?

The shower can have at most one occupant, except in the event of an attack by water soluble aliens», «if one friend gets invited to go swimming at Bill Gate’s house he will take the other friend to accompany him». Das WG-Zusammenleben von Sheldon und Leonard in der TV-Serie «Big Bang Theory» ist in ihrem Roommate Agreement aufs Genauste geregelt. Regelungen für den Fall, in dem einer der Mitbewohner zum Zombie mutiert, sind zwar wahrscheinlich genauso wenig in den meisten Studierenden-WG-Reglementen enthalten wie eine exakte Beschreibung der Wohngemeinschaftsflagge (goldener Löwe auf hellblauem Hintergrund). Dennoch haben wohl die meisten funktionierenden WGs Regeln aufgestellt, welche dem dieser Art des Wohnens inhärenten Chaos versuchen, Einhalt zu gebieten. Doch nicht nur rein organisatorische Chaos-Prävention sollte für das Funktionieren einer Wohngemeinschaft betrieben werden. Denn das Wort «Privatsphäre» nimmt plötzlich eine andere Bedeutung an, wenn man mit mehreren, anfangs fremden Leuten das Badezimmer teilt. Zwar haben die beiden TV-Physiker gewisse Aspekte von Privatsphärenschutz im Roommate Agreement festgehalten («The right to bathroom privacy is suspended in the event of force majeure», «There has to be a 24-hour notice if a non-related female will stay over night»). Jedoch wird eine Frage ausgespart, die wahrscheinlich in den wenigsten WGs explizit nicht geregelt ist, implizit dafür aber umso mehr: Wie nackt ist in den geteilten Wohnungsteilen zu nackt?

«Also mindestens Unterwäsche muss man bei uns schon tragen»

Die von mir befragten HSG-WGs sind in dieser Hinsicht tatsächlich eher konservativ. «Wenn einer nackt rumlaufen würde, wär das schon ziemlich schockierend! Also mindestens Unterwäsche muss man bei uns tragen», meint ein Mitglied einer Drei-Männer-WG, welche sich schon seit längerem kennt. Ähnliches berichtet eine Zwei-Frauen-Zwei-Männer-Wohngemeinschaft. Auch bei mir zu Hause, einer reinen Frauen-WG, wird nicht blankgezogen. Wieso haben wir so viel Hemmungen diesbezüglich, und das gegenüber Leuten, mit denen wir unsere Wohnung, unser Badezimmer, unser Essen und unser Privatleben (gewollt oder durch dünne Wände bedingt) teilen?

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel einer 6er-Nudisten-WG in Zürich, welche gerade im Internet einen neuen Mitbewohner sucht (« […] suchen männlichen Mitbewohner, der auch Anhänger der Freikörperkultur ist […] Ohne zweideutige Hintergedanken oder sex. Interessen! Bitte nur ernsthafte Bewerbungen mit aussagekräftigem Schreiben und entsprechendem Foto für den ersten Eindruck, natürlich bitte ohne Klamotten!»). Dies ist zweifelsohne ein eher extremes Beispiel, bei dem die Nacktheit zur Lebenseinstellung gehört und das deshalb in dieser Hinsicht eher schlecht mit «normalen» Studentenwohngemeinschaften verglichen werden kann. Was dieses Beispiel aber aufzeigt, ist die Grundeinstellung, welcher wahrscheinlich auch die Scheu gegenüber Mitbewohnern zugrunde liegt. Ich finde zwar, dass jeder tun und lassen soll, was er will, solange dabei niemand zu Schaden kommt. Aber für mich persönlich hört sich das Konzept einer Nudisten-WG irgendwie «falsch» an; es «gehört sich nicht», nackt vor mehr oder weniger fremden Leuten zu sein, zu leben. Bin ich einfach eine hoffnungslose Spiesserin? Wurde ich so erzogen? Ist eine solche Einstellung kulturbedingt?

Ohne zweideutige Hintergedanken?

Wahrscheinlich hat jeder im alten Familienfotoalbum das eine oder andere vergilbte Foto, auf dem das kleinkindliche Selbst – selbstverständlich splitternackt – in einer Badewanne sitzt und fröhlich mit Schaum und Quietscheentchen spielt. Nacktfotos? Ist das Pornografie? Schämt man sich für ein solches Foto von sich selbst? Natürlich nicht. Ein kleines Kind hat einerseits noch nicht das Bewusstsein, um zu realisieren, dass es «nackt» ist, aber vor allem wird die Nacktheit eines Kindes nicht mit Sexualität in Verbindung gebracht. Als Kind verspürt man erst mal auf die eigene Nacktheit bezogen kein Schamgefühl – das kommt erst später, und zwar mit der Erkenntnis, dass Nacktsein in unserer Gesellschaft nahezu immer mit einer sexuellen Konnotation behaftet ist. Nur in wenigen Situationen der heutigen Gesellschaft ist diese Verbindung zwischen Nacktheit und Sexualität mehr oder weniger aufgehoben, beispielsweise bei einem Arztbesuch, bei Aktmalerei oder in der Kunst allgemein, oder in Umkleideräumen in Schwimmbädern. Wobei dies natürlich von Land zu Land und von Kultur zu Kultur unterschiedlich sein kann. Während man in der Schweiz einen Besuch in der öffentlichen Sauna noch knapp dazu zählen kann, ist dies zum Beispiel andernorts definitiv nicht möglich.

Wieso Nacktheit im Kontext einer Wohngemeinschaft ein eher schwieriges Thema ist, lässt sich somit leicht erkennen: eine studentische, platonische Wohngemeinschaft sollte kein sexuell konnotiertes Umfeld sein – Nacktheit, da diese eben gerade ein solches implizieren würde, ist da weitestgehend fehl am Platz. Funktionieren würde das nur, wenn alle Beteiligten sich von diesen gesellschaftlichen Einflüssen lösen und ihr unschuldiges Kindheitsverständnis vom Nacktsein wiedererlangen würden. In der Anzeige für die Nudisten-WG steht ja dazu treffend: «Ohne zweideutige Hintergedanken oder sex. Interessen!»

Nudisten-WG oder implizit-diskret

Wer von zu Hause bei den Eltern gewohnt ist, Nacktheit nicht zwingend verstecken zu müssen, wird diesem Thema wahrscheinlich auch in einer WG eher liberal gesinnt sein. Doch obwohl eine WG im Idealfall schon so vertraut sein könnte wie das Familienzuhause, gibt es einige offensichtliche Unterschiede; Mitbewohner sind halt eben einfach Mitbewohner und keine Blutsverwandte. Ausserdem bleibt offen, wie viele Leute, Kinder einmal ausgenommen, im Familienzuhause tatsächlich so locker mit Nacktheit umgehen.

Aber schlussendlich bleiben solche Regelungen – auch solche betreffend WG-Flaggen und wasserlöslicher Ausserirdischer – jeder Wohngemeinschaft selbst überlassen. Ob explizit wie in der Nudisten-WG oder implizit-diskret.


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