Toilettenpausen liegen beim Daytrading nicht drin

Für ein Interview mit dem Daytrader und HSG-Studenten Mike Schwitalla treffen wir uns in seiner WG in der Nähe des Bahnhofs. Wir haben uns darauf eingestellt, einem kleinen, zurückgezogenen Stubenhocker gegenüberzustehen, der – ausser vom Trading – relativ wenig vom Leben versteht.

Umso überraschter sind wir, als uns ein gross gewachsener, sportlicher und äusserst sympathischer Student die Türe öffnet. In gemütlicher Atmosphäre bei einer Tasse Kaffee plaudert er dann auch gerne aus dem Nähkästchen.

Wie bist du zu deinem doch eher aussergewöhnlichen Hobby, dem Trading, gekommen?

Angefangen habe ich mit elf Jahren. Ich war mit meinem Onkel unterwegs, als eine ausserordentliche Meldung im Radio bezüglich der Aktienkurse mein Interesse weckte. Als kleiner Junge wollte ich nicht für 20 Jahre mein Geld irgendwo investieren, ich wollte schnelle Erfolge sehen, Spannung und Action. Ich wollte und will permanent am Markt sein und meine Aktien nicht jahrelang rumliegen haben, ohne dass etwas passiert. Ich fing also an, mir Gedanken darüber zu machen, wo ich einsteigen könnte. Mich interessierten vor allem der Technologiesektor und die damaligen Neuheiten wie die Intel Dual- Core Prozessoren, die Playstation von Sony, Nintendo, Xbox etc.

Obwohl diese kleinen Investitionen grossen Spass gemacht haben, bemerkte ich schnell, dass die Börse anders tickt und man mit Zahlen und Fakten der Unternehmung nicht weit kommt. Je kleiner nämlich der Handelszeitraum, desto realitätsferner sind die Kursverläufe. Die Börse ist regelrecht losgelöst von der realen Wirtschaft, es ist unglaublich. Also habe ich angefangen, mich auf historische Daten, Regelmässigkeiten und weitere Faktoren zu konzentrieren, die mir die Möglichkeit gaben, Kursverläufe vorhersagen zu können. Für mich ist somit überhaupt nicht wichtig, was die Unternehmung macht, die ich analysiere. Mit der Chartanalyse habe ich die Möglichkeit, verschiedenste Zeiträume und jegliche Märkte unter die Lupe zu nehmen, Regelmässigkeiten zu erkennen und danach zu handeln, ohne dass ich ein Unternehmen wirklich kenne.

Wie vertragen sich Studium und Trading?

Wochentrading und Trading auf Drei-Tage-Basis vertragen sich sehr gut mit der Uni, wohingegen Daytrading oft mehr als zehn Stunden pro Tag in Anspruch nimmt. Das ist natürlich, ausser in den Ferien, nicht möglich. Eine andere Möglichkeit, doch am Daytrading teilzunehmen, ist das Entwickeln von automatisierten Handelssystemen. Ich habe ein Praktikum gemacht, bei dem ich das Programmieren solcher Handelssysteme mit Hilfe der Software Metatrader gelernt habe. Der Computer übernimmt so einen Grossteil der Arbeit und man ist nicht mehr gezwungen, die ganze Zeit vor dem Bildschirm zu sitzen.

Was unterscheidet deine Arbeit an der Börse von den Spekulationen eines Laien?

Laien haben eine sehr geringe Markttiefe und vertrauen den Medien und Analysten zu stark. Sie handeln sehr emotionsgesteuert, wohingegen ich eine höhere Markttiefe mittels Level 1- und Level 2-Daten habe. Ich analysiere Kursverläufe mittels Indikatoren, zusätzlichen Daten, verschiedenen Darstellungsformen und in verschiedenen Zeiträumen. Durch diese Instrumente kann ich die Psychologie des Marktes besser erfassen und interpretieren. Das alles sind Tools, die der breiten Masse natürlich nicht zur Verfügung stehen, was Spekulationen zu einer heiklen Angelegenheit macht. Den Erfolg bringt schliesslich ein gutes Handelssystem und perfektes Money-Management.

Mit was für Risiken wirst du im Forex beziehungsweise Devisenhandel konfrontiert?

Man könnte sagen, dass der Forexhandel der «Wild Wild West» der Finanzmärkte ist. Er ist überhaupt nicht reguliert und kurzfristig sehr unberechenbar. Zusätzlich kommt der Verschuldungsgrad, der Leverage, von 100 hinzu. Gehe ich nun mit 1’000 Franken und einem Leverage von 100 in den Markt, investiere ich schlussendlich 100’000 Franken. Die restlichen 99’000 Franken werden mir vom Broker zur Verfügung gestellt. Geht die Devise zum Beispiel um ein Prozent hoch, verdoppelt sich dein Geld, geht sie jedoch um ein Prozent runter, verlierst du alles. Ich gehe somit eigentlich mit Geld in den Markt, welches ich gar nicht habe. Wenn das einem bewusst wird, kann das schon beängstigend sein. Oder ein anderes Beispiel: Als Hildebrand den Kurs des Frankens gegenüber dem Euro auf 1.20 festgelegt hat, ging der Kurs um neun Prozent hoch. Das scheint auf den ersten Blick toll, jedoch gab es innerhalb dieser Steigerung immer wieder kleinere Einbrüche. Wenn man nun den höchsten Punkt vor einem solchen Einbruch erwischt und das Ganze geht ein halbes Prozent runter, hat man schon die Hälfte verloren. Nicht so lustig …

Worin siehst du den Nutzen respektive die Wertschöpfung deiner Arbeit?

Grundsätzlich haben Unternehmen ein Interesse daran, dass sie über liquide Titel verfügen. Das heisst, dass sie diese bei Bedarf schnell flüssig machen können. Wir Daytrader bringen die nötige Liquidität in den Markt, sodass die Transaktionskosten beim Kauf einer Aktie sinken. Je mehr gehandelt wird, desto kleiner wird der Unterschied zwischen Ankauf und Verkauf.

Kannst du dir vorstellen, das Ganze hauptberuflich zu machen?

In der momentanen Situation der Occupy-Bewegung mache ich mir ernsthaft Gedanken, ob das wirklich das Richtige für mich ist. Schon alleine die Masse an Geld, mit der kurzfristig in einem realitätsfremden Umfeld gehandelt wird, ist realwirtschaftlich aufgrund des hohen Risikos eigentlich nicht tragbar. Der Job ist sehr intensiv und man muss immer zu 100 Prozent bei der Sache sein. Sogar zu lange Toilettenpausen liegen beim manuellen Handeln nicht drin. Drei Minuten auf der Toilette können dann schnell mal Tausende von Franken kosten.

Auf der anderen Seite begleitet mich die Thematik schon seit ich elf Jahre alt bin und sie hat mich seit damals nicht mehr losgelassen. Ich höre auch von vielen Leuten: «Schau Mike, du hast in deinem jungen Alter schon zwei Crashs miterlebt und dadurch viele wertvolle Erfahrungen sammeln können. Du kennst die vollständigen Zusammenhänge noch nicht, aber du triffst intuitiv die richtigen Entscheidungen.» Letzten Endes ist das, wie wenn man mit acht oder neun Jahren anfängt Tennis zu spielen – ich lerne jeden Tag dazu und es macht mir wahnsinnig Spass.

Wo siehst du dich in fünf bis zehn Jahren?

Das kann ich so konkret zurzeit noch nicht sagen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob die HSG für das, was ich machen will, die richtige Entscheidung war. Schaut man in die erfolgreichen Finanzboutiquen, sieht man viel eher PhDs der Naturwissenschaften und keine oder nur wenige BWLer und VWLer. Ich überlege mir deshalb, mich nach meinem VWL-Studium hier in St. Gallen mehr im quantitativen Bereich zu spezialisieren, wenn möglich im Ausland.

Ich sehe mich in nächster Zukunft auch eher im Rohstoff- und Energiehandel, da diese Märkte noch nicht so weit liberalisiert wurden. Wenn ich eine Aktie von Siemens kaufe, weiss ich oft nicht, was ich da genau handle, es ist nicht konkret bestimmbar. Kaufe ich hingegen ein Barrel Öl, weiss ich genau, womit ich handle. Rohstoffe sind viel greifbarer und werden in naher Zukunft sicher ein grosser Trend werden.

Und: Wer mehr zum Thema Daytrading erfahren möchte, sollte sich auch einmal bei RuMaS umschauen.


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