Traumjob Unternehmensberatung?

Viele Studierende träumen von einer Stelle in der Unternehmensberatung. Es locken Vielseitigkeit, Prestige, Karriere – Stress und Überstunden hin oder her.

Von neun befragten BWL-Kommilitonen können sich fünf den Einstieg in die Unternehmensberatung vorstellen. Warum? «Weil es ein Karrieresprungbrett ist.» «Wegen des Einblicks in viele Unternehmen.» «Weil du nicht zur Verantwortung gezogen wirst, da du nur berätst.» So weit einige Vorstellungen. prisma hat jemanden getroffen, der es genauer weiss. HSG-Absolvent Félix Gloor arbeitet als Assistant Manager im Bereich Advisory bei der KPMG. Er hat uns einen Einblick in seine Arbeit gewährt.

Branche des Wandels, Wandel in der Branche

Ihre Daseinsberechtigung hat die Beraterbranche, weil Unternehmen nie den Zustand der Perfektion erreichen und daher immer Optimierungspotenzial besteht. Berater werden folglich in Unternehmen gerufen, um Veränderungsprozesse zu unterstützen. Oder in schönstem BWL-Deutsch ausgedrückt: Berater vereinfachen, eliminieren, verschmelzen, beschleunigen, parallelisieren, automatisieren.

Die Branche selbst hat sich ebenfalls gewandelt. Jüngere Zeitungsmeldungen vermitteln den Eindruck, dass es Beratungsfirmen heute schwieriger haben als in den Boom-Jahren. So schreibt der «Tages-Anzeiger», dass die Skepsis auf Kundenseite wegen verschiedener Consulting-Flops, wie bei der Swissair, stark zugenommen habe. Die «Wirtschaftswoche» spricht von einer «Entzauberung», da die vermeintlich «allwissenden» Berater die Krise auch nicht vorhergesehen hätten.

Brancheninterne Stimmen bestätigen diese Aussagen. Im Sammelwerk «Management Consulting», das anlässlich des Jubiläums 50 Jahre ASCO – Association of Management Consultants Switzerland – erschienen ist, kommen verschiedene Autoren zu denselben Schlüssen: Der «Return on Consulting» wird wichtiger. Berater werden vermehrt bei der Umsetzung gefordert. Die Honorierung muss stärker vom Erfolg abhängig sein.

So wird mit einigen Klischees aufgeräumt. Früher konnte man sich mit einem akademischen Titel und einem schlauen Buch unter dem Arm schneller Respekt verschaffen, schreibt ein Berater. Berichte haben nicht länger «bloss schön für in die Schublade» zu sein, sondern müssen umgesetzt werden können, schreibt ein anderer.

Work-Life-Balance

Ich bitte Félix Gloor um die Beschreibung eines typischen Arbeitstags. Zuerst informiere er sich über Neuigkeiten und Gerüchte auf dem Markt. Danach – es fällt ihm keine Regelmässigkeit mehr ein. Jeder Tag ist anders, das ist das einzig Typische. Durch die projektorientierte Arbeit ist ein Nine-to-Five-Rhythmus unmöglich. Hinzu kommen Ausseneinsätze – kurz: Planung wird schwierig. «Ich weiss von Woche zu Woche, manchmal sogar von Tag zu Tag nicht, was mich erwartet. Das ist extrem spannend.»

Oder extrem schwierig, wenn man ans Privatleben denkt? – «Diese Woche ist eine gute Woche, um sich über die Work-Life-Balance zu unterhalten. Ich habe zweimal bis Mitternacht gearbeitet.» Natürlich sei das nicht immer so. Aber gerade in Projekt-Endphasen sind Überstunden keine Seltenheit. Nimmt das auf höheren Hierarchiestufen ab? – «Die Chefs leben uns das vor. Wenn es zu tun gibt, sind sie da, auch spät am Abend.» Ist die Work-Life-Balance schlechter als in anderen Berufen? – «Ja.»

Man kompensiere das, indem man die Freizeit intensiver geniesse. Andererseits müsse die Einstellung zum Beruf stimmen. Bruce Henderson, Gründer der BCG, formulierte es so: «I believe that consulting is too demanding to be a whole career unless the physic satisfaction equal or exceed in value the financial rewards of such a career.» Dennoch sei die gute Honorierung schon die Voraussetzung, dass man sich so einsetzen könne, ergänzt Félix Gloor, der Vater eines dreimonatigen Sohnes ist.

Vom Studenten zum Berater

Für Félix Gloor war Unternehmensberatung schon während des Studiums der Traumjob. Was macht diese Faszination aus? – «Weil man in der Position ist, in der man ein Unternehmen mit einem Problem beraten kann. Man weiss die Lösung noch nicht, aber man hat die Erfahrung, sie zu finden.» Sind es auch das Prestige, das Reisen? – «Über das Prestige müssen Externe urteilen. Wenn ich am Montagmorgen um sechs Uhr am Flughafen sein muss, denke ich: Muss ich schon wieder? Aber ja, es hat natürlich etwas, wenn man zur Arbeit nach London City fliegt.»

Zuerst arbeitete Félix Gloor im Audit. Den Wechsel ins Advisory wählte er, weil er eine neue Perspektive suchte. Im Audit überprüfe man jährlich die finanziellen Statements der gleichen Kunden. Im Advisory hingegen setzte man die Zahlen als richtig voraus und arbeite damit. Man habe kein Kundenportfolio, jedes Mandat sei etwas völlig Neues. Heute ist der direkte Brancheneinstieg nach einem akademischen Abschluss der Standardweg. Durch interne Weiterbildungssysteme werden die professionellen Fähigkeiten rasch erlernt. Als Uni-Vertiefung kann man sich diese nicht aneignen, es gibt keinen «Master of». Rasch gehe es, weil man sich immer hundert Prozent auf ein Projekt fokussiere, so Félix Gloor.

Zuerst muss man es natürlich «reinschaffen». Über die Höhe der Erfolgsquote von Bewerbern lässt sich KPMG nicht in die Karten schauen. Die Anforderungen der Beratungsunternehmen sind relativ hoch, wie ein Blick in den HSG Talents Conference Guide verrät. «Natürlich sind die Noten sehr wichtig. Aber Praxiserfahrung ist das A und O. Das unterschätzen viele Studierende», meint Sonja Bühler vom HR Marketing & Recruiting der KPMG. Charakterlich sind Drive, Motivation und Mut die richtigen Zutaten, so Félix Gloor. «Man muss wollen, bis zum Schluss. Es kann sein, dass eine fertige Analyse verworfen wird. Dann muss man positiv bleiben und wieder von vorne anfangen.»

Traumjob für Frauen?

In der Schweiz sind knapp zwanzig Prozent der Consultants Frauen. Die Mehrheit verlässt die Unternehmen nach einigen Jahren, weshalb der weibliche Anteil auf den oberen Führungsebenen noch geringer ist. Dies sei schade, schreibt eine Beraterin, denn im Consulting seien weibliche Stärken gefragt: kooperative Führungsstile, starke Kundenbezogenheit und Teamwork. «Consulting verlangt und bietet Flexibilität», schreibt sie weiter. Es sei zwar ein Fulltime-Job, aber das Arbeiten zu ungewohnten Zeiten und von zuhause aus sowie eine flexible Gestaltung zwischen den Projekten sei möglich.Was macht man denn zwischen den Projekten überhaupt? «Business Development, Marktforschung», so Félix Gloor. Aber letztes Jahr sei intensiv gewesen: Es gab eigentlich nicht viel Zeit zwischen den Projekten.

«Karrieresprungbrett» Unternehmensberatung?

Wenn es dann nicht für immer der Traumjob bleibt – sind Beratungsunternehmen «Karrieresprungbretter»? Empirische Daten dazu sind schwierig aufzutreiben. Dafür ein schönes Konzept der Ökonomen Lazear und Rosen, das diese Hoffnung vieler Hochschulabsolventen bestätigt. Die Ökonomen führen den Begriff der «relativen Leistungsturniere» ein, bei welchen Mitbewerber in mehreren Runden um den Aufstieg in einem Unternehmen konkurrieren. In ihr Kalkül fliesst der Optionswert der noch ausstehenden Beförderungsrunden ein. Dieser bemisst sich aus der Chance aufzusteigen. Folglich nimmt der Wert bei Nicht-Beförderung ab, weshalb davon betroffene Teilnehmer Anreize haben, auszusteigen. Das führt zu einer «Up-or-Out»-Kultur. Die Beratungsunternehmen haben einen Vorteil in dieser Art der Selektion, da sie durch eine schwächere Aufgabenspezialisierung homogenere Turniere durchführen können. Dabei wird das Humankapital nicht nur gefiltert, sondern durch das Erlernen von in andere Branchen transferierbaren Fähigkeiten auch «veredelt».

Auch wenn er das «Sprungbrett» nicht nutzen will – Félix Gloor stimmt dieser Ansicht zu. «Der Added Value ist, dass man viele Cases sieht. Im Jahr ist man an bis zu zehn Projekten mit zum Teil mehreren Unternehmen beteiligt. Man rechne das hoch auf ein paar Jahre.»

Status «voraussichtlich geplant»

Die Schattenseite seines Berufs ist für Félix Gloor, dass alle seine Abmachungen immer den Status «voraussichtlich geplant» haben; sei dies Sport oder ein Abendessen. Auf der Sonnenseite stünden das breite Arbeitsspektrum und das Reisen. Für ihn vermag die Sonnenseite die Schattenseite zu kompensieren; Beratung sei mehr denn je sein Traumjob.

Das gesamte Interview mit Félix Gloor, Assistant Manager Advisory (Transaction Services) & Sonja Bühler, HR Marketing & Recruiting bei KPMG:

Herr Gloor, können Sie mir Ihren Werdegang schildern?

Félix Gloor: Ich habe in St. Gallen studiert, wo ich mich im Bereich KMU vertiefte. Nach dem Abschluss stieg ich ins Audit ein. Vor zwei Jahren entschied ich mich zum Wechsel ins Advisory.

Warum?

Im Audit prüft man Statements auf ihre Korrektheit. Im Advisory hingegen berät man die Kunden aufgrund von Zahlen, welche man als richtig voraussetzt. Ich suchte diese neue Perspektive. Hinzu kommt, dass Advisory weniger vorhersehbar ist. Hier hat man kein festes Kundenportfolio, jedes Mandat ist etwas anderes. Ich weiss von Woche zu Woche, manchmal sogar von Tag zu Tag nicht, was mich erwartet. Das ist extrem spannend.

War Unternehmensberatung während des Studiums Ihr Traumjob?

Ja, im umfassenden Sinne. Die Branche wurde uns auch von den Professoren nahegelegt, da man viel lerne.

Ist es heute noch Ihr Traumjob?

Mehr denn je! Man sieht so ein breites Spektrum. Es ist schön, in der Position zu sein, in welcher man ein Unternehmen bei der Problemlösung beraten kann. Man kennt die Lösung zwar nicht von Anfang an, aber man hat die Erfahrung, sie zu finden.

Woher hat man diese Erfahrung? Man sieht ja immer „nur kurz“ in Unternehmen rein.

Im Jahr ist man an bis zu zehn Projekten mit zum Teil mehreren Unternehmen beteiligt. Man rechne das hoch auf ein paar Jahre. Zudem fokussiert man sich während der Projektzeit ausschliesslich auf den jeweiligen Auftrag. Das ist für betriebsinterne Personen aus Gründen wie Zeitmangel oder fehlendem Abstand nicht möglich.

Für wen ist es ein Traumjob?

Es ist kein Nine-to-Five-Job. Man muss bereit sein, wenn nötig auch einmal abends oder am Wochenende zu arbeiten. Man muss wollen, bis zum Schluss. Es kann sein, dass eine fertige Analyse verworfen wird. Dann muss man positiv bleiben und wieder von vorne anfangen. Auf den Punkt gebracht sind Mut, Motivation und Drive die charakterlichen Voraussetzungen. Ich habe gute Freunde, die das nicht wollen und einen anderen Weg gewählt haben. Viele andere Jobs sind vermutlich planbarer und absehbarer.

Ist der Job prestigeträchtig?

Das müssen Externe beurteilen.

Wie erleben Sie das viele Reisen?

Wenn ich am Montagmorgen um sechs Uhr am Flughafen sein muss, dann denke ich: Muss ich schon wieder…? Generell empfinde ich das Reisen aber als Bereicherung. Für ein Projekt stellt man Teams aus ganz Europa zusammen, je nach Spezialisierung der Mitarbeiter. Das Fliegen an sich finde ich schön, auch wenn es Energie braucht. Und natürlich hat es etwas, wenn man mit dem „Köfferli“ zur Arbeit nach London City fliegt – statt den Bus zu nehmen.

Wie verdient man sich den Respekt der Kunden?

Es hängt vieles davon ab, wie man sich gegenüber dem Kunden verhält. Es braucht Einfühlungsvermögen. Man muss sich bewusst sein: Man redet hier mit jemandem, der zwanzig Jahre Erfahrung in dieser Firma hat. Arroganz ist fehl am Platz.

Ist die Unternehmensberatung ein „Karrieresprungbrett“?

Ja, denn ein Berater kann Erfahrung in Teams sammeln, welche projektweise arbeiten. Das heisst, er sieht verschiedene Unternehmen und verschiedene Cases. Das macht den Added Value von Beratungsmitarbeitern aus.

Frau Bühler, auf was schauen Sie im Recruiting-Prozess?

Sonja Bühler: Praxiserfahrung ist das A und O. Das unterschätzen viele Studierende. Die Noten sind wichtig. Letztlich ist es aber das Gesamtbild, welches wir uns anschauen. Man braucht Persönlichkeit, um im Beraterumfeld hektische Phasen mit hohem Workload bestehen zu können. Beim Vorstellungsgespräch prüfen wir, ob die Person weiss, auf was sie sich einlässt.

Herr Gloor, können sie mir einen typischen Tagesablauf beschreiben?

Félix Gloor: Am Morgen schaue ich mir als erstes die News an: Gibt es Neuigkeiten von möglichen Unternehmensdeals? Das ist für unsere Arbeit im M&A-Bereich essenziell. Der weitere Verlauf ist von Tag zu Tag unterschiedlich.

Wie steht es um Ihre Work-Life-Balance.

Diese Woche ist eine “gute” Woche, um sich über die Work-Life-Balance zu unterhalten – ich habe Mittwoch und Donnerstag bis Mitternacht gearbeitet. Gerade in Endphasen sind Überstunden keine Seltenheit. Ich bin verheiratet und habe einen dreimonatigen Sohn. Daher ist die Work-Life-Balance ein sehr aktuelles Thema für mich…

Und wie erreicht man ein Gleichgewicht?

Die Work-Life-Balance muss einigermassen ausgeglichen sein, sonst „überlebt“ man diese Arbeitsintensität nicht. Gerade weil die Freizeit knapp ist, wird jede Gelegenheit für Familie, Sport oder Freunde intensiver wahrgenommen.

Haben Sie eine schlechtere Work-Life-Balance als Kollegen in anderen Jobs?

Ja, aber es ist eine bewusste Wahl. Dieses Leben gehört einfach zu meinem Job – oder umgekehrt – dieser Job gehört einfach zu einem gewissen Lebensstil.

Wie ist es bei den Beratern, die einige Jahre länger dabei sind?

Meine Chefs leben das vor. Wenn es zu tun gibt, dann sind sie da, auch spät am Abend. Je seniorer man ist, desto mehr kann man aber auch delegieren.

Was macht man zwischen Projekten?

Dann betreibt man „business development“ und Marktforschung.

Herrscht unter Kollegen eine Konkurrenzmentalität?

Der Druck kommt eher von oben, nicht von der Seite. Die Arbeitsweise der Chefs spornt an, man denkt: Wenn sie so genau arbeiten, dann kann ich nicht „Halbfertiges“ abliefern. Der Druck wird aber nicht böswillig erzeugt.

Zum Schluss: Was sind die Schattenseiten und die Sonnenseiten Ihres Berufs?

Was ich privat abgemacht habe steht immer unter dem Status „voraussichtlich geplant“, sei dies ein Sporttraining oder ein Abendessen mit Freunden. Der Beruf kann jederzeit dazwischenkommen. Die Sonnenseite ist das viele Reisen, bei welchem man mit Leuten aus anderen Ländern in Kontakt kommt. Daneben ist es ganz klar das breite Spektrum meiner Arbeit, das ich als Sonnenseite bezeichnen würde.


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