Uganda hautnah erlebt

Eine Reise, die ist lustig. Eine Reise, die ist schön. Über das ganz normale Chaos in Uganda.

Irgendwo im Westen von Uganda brause ich auf einer schlechten Strasse unter der sengenden Mittagssonne durch weitläufige Dörfer. Komisch, denke ich mir, aufgrund der hohen Lage von mindestens 1000 m ü. M. wird es hier doch selten über 33°C warm, zumindest sagte das die Länderinformation der Economist Intelligence Unit vor meinem Abflug. Aber es fühlt sich, in diesem wahrscheinlich aus Südkorea importierten Bus, definitiv sehr viel wärmer an.

Morgens um halb sieben beginne ich meine Reise auf dem Busbahnhof der Kampala. Angebote von sichtlich erfreuten Ugandern für Busreisen nach Kigali, Gulu, Nairobi und weitere exotische Orte muss ich ausschlagen und werde nach Zwischenhalten bei Zeitungs- und Halbschuhverkäufern dann doch irgendwie zum richtigen Bus geführt. Fünfundzwanzigtausend Schilling zahle ich für das Ticket, welches auf einem vergilbten Quittungsbüchlein ausgestellt wird. Das sind etwa 22 Franken. Mit geschwungenen Buchstaben steht Kabale darauf, das Ziel meiner Reise.

Die letzten Getränke-, Süssgebäck-, Gürtel- und Sonnenbrillenverkäufer springen vom brummenden Bus und wir verlassen Kampala. Die Stadt ist sehr lebendig und angenehm grün. Es hat auch zahlreiche Restaurants aus aller Welt, viele Bars und andere Ausgehmöglichkeiten. Allerdings muss ich schnell feststellen, dass das Nachtleben recht überschaubar ist und aus der Schicht der oberen 10’000 und den ansässigen Weissen besteht, welche sich diesen Spass überhaupt leisten können.

Was ist der Grund für mein Herumreisen durch Afrika in einem Schrotthaufen, der mindestens 20 Jahre auf dem Buckel hat und von einem Raser namens James gelenkt wird, der, wie vom Malariafieber gepackt, hupend an seltenen Affen und wandernden Kindern vorbei mit etwa 100 Stundenkilometern über tiefe Schlaglöcher donnert?

Der Grund dafür ist das Mitorganisieren einer Studienreise nach Uganda für Studierende aus der Schweiz. Während drei Wochen sollen die Teilnehmenden einen vertieften Einblick in die Bereiche Wirtschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft gewinnen. Dafür haben Michael und ich Treffen mit Schlüsselakteuren – beispielsweise mit Professoren, mit dem damaligen Innenminister Ruhakana Rugunda, mit Jürg Eglin vom IKRK Uganda und mit Jean-Nicolas Beuze vom UN Hochkommissariat für Menschenrechte – organisiert. Die 15 Studis kommen in einem Monat an. Nun gilt es, die letzten Vorbereitungen vor Ort zu tätigen.

«Switzerland – the most peaceful country in the world – is also landlocked like Uganda, but why is it so well-developed?», werde ich von meinem kontaktfreudigen Sitznachbarn im Bus gefragt. Nachdem ich ein flammendes Plädoyer für Konkordanz, Föderalismus, Dezentralisierung und direkte Demokratie – vor einem sich sichtlich amüsierenden Publikum – abgehalten habe, werde ich von einem Geografielehrer gefragt, wie viele Tribes es denn in «Switizerland» (so wird es ausgesprochen!) gäbe und wann das Land seine Unabhängigkeit von den britischen Kolonialherren erklärt habe.

In Uganda ist die Unterscheidung der ethnischen Gruppen nach wie vor sehr wichtig. Je nach Zugehörigkeit zu einem der 15 Stämme unterscheiden sich Muttersprache, Tradition, Rechtssystem und auch die wirtschaftlichen Erfolgsaussichten des Einzelnen. Ein Nachname, der beispielsweise mit O beginnt, kommt höchstwahrscheinlich aus dem Norden, der Träger ist ein Acholi und hat bei der Vergabe von Regierungsposten gemeinhin schlechte Karten, sofern denn überhaupt in die Hauptstadtregion übergesiedelt wurde. Weisse werden ebenfalls in das tribalistische Kategoriensystem integriert und werden als Mzungus («Musungus» gesprochen) bezeichnet. Kinder lieben es, den Touristen hinterherzurennen und «hello Mzungu» zu schreien, dabei überaus herzlich lachend und winkend.

Meine siebenstündige Busfahrt endet auf einem staubigen Platz in Kabale. Nachdem ich all die neuen Businesscards und Telefonnummern meiner neuen Freunde von der Busfahrt verstaut habe, holt mich die Chefin des Mushroom Training and Resource Center (MTRC) namens Peace persönlich ab. In den westlichen Provinzen werden seit 1995 Austernpilze im Heimanbau angepflanzt und lokal vermarktet. Der technisch nicht anspruchsvolle Anbau geschieht mit lokalen Ressourcen, bedarf nur geringer Startinvestitionen und eignet sich aufgrund des geringen Flächenbedarfs als Nebeneinkommenszweig in ländlichen Regionen. Durch das MTRC, ein gemeinsames Verarbeitungs- und Vertriebszentrum, wurden die professionelle Vermarktung und der Pilzanbau eines Netzwerks von bereits etwa 800 Bauern entscheidend gefördert.

Hier, bei der Geschäftspartnerin einer Bekannten, kann ich meine Kenntnisse in Accounting, Audit und Advisory in einem völlig anderen kulturellen Kontext unter Beweis stellen: Buchhaltungsstandards, sofern es denn überhaupt Dokumentationen gibt, sehen hier etwas anders aus als an der Uni gelernt. Überlegungen zur strategischen Unternehmensführung scheinen etwas ganz Neues zu sein. Ökonomische Anreizmechanismen bei der Gestaltung der Preise und Löhne werden eher als betrügerisch empfunden.

Nach einem spannenden und lehrreichen Aufenthalt in der fruchtbarsten Provinz Ugandas, nach vielen guten Pilzgerichten, Verwandtenbesuchen und dem Schwimmen im Vulkansee kehre ich mit einer persönlich überreichten Rap-CD von einem lokalen DJ und einigen Kilos Süsskartoffeln, welche mir von zwei Bäuerinnen kilometerweit nachgetragen werden, wieder nach Kampala zurück.

Nach diesem privaten Ausflug, beziehungsweise Einsatz, geht es nun wieder ans Organisieren der interkulturellen Reise. Die nächste Studiengruppe wird das MTRC besuchen, da bin ich mir sicher.

Diese interkulturelle Studienreise nach Uganda fand im August 2008 in Uganda statt. Das Projekt wurde von Michael Borgensten (MIA, HSG) und Martin Bischof (Politikwissenschaften, Uni Bern) im Rahmen der «Initiative für interkulturelles Lernen» organisiert.
Komm mit und erlebe das Abenteuer Reisen selbst hautnah! Diesjährige Studienreisen führen nach Nepal, Europa, Syrien, Japan, Thailand, Uganda/Ruanda und in den Libanon. Anmeldung und Infos findest du auf www.ifil.ch


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