Verbindungen – die Studentenschaft von morgen?

Die Zeiten sind vorbei, als Verbindungen massgeblich den Ton innerhalb der Studentenschaft angaben. Grund genug, ihnen den Puls zu fühlen und dabei eine leicht aufkommende Renaissance zu spüren. Wer weiss, vielleicht ist schon der nächste Präsident der Studentenschaft wieder ein Couleur-Student.

Als ich im Sommer 2008 von einem Freund eingeladen wurde, einem Anlass seiner Studentenverbindung beizuwohnen, musste ich nicht lange überlegen. Die Idee, einem in meinen Augen sinnlosen Saufgelage beizuwohnen, erschien mir absurd, so dass ich ihm freundlich, aber bestimmt mitteilte, dass das für mich nicht in Frage käme. In meiner ganzen Überzeugung vergass ich aber seine einmalige Fähigkeit, so lange auf jemanden einzureden, bis alle Dämme brechen und der innere Widerstand bedingungslos kapituliert. Seine Beharrlichkeit durfte ich ebenfalls kennenlernen, indem er nicht nachliess und mich jeden Tag aufs Neue irgendwohin einlud oder mich zu überreden versuchte, seine Verbindungsleute zu treffen. Sechs Monate lang – jeden einzelnen Tag. Irgendwann – ich weiss nicht mehr, ob ich einfach nachgab oder mir doch zu unsicher war, ob nervtötendes Verhalten vor Gericht als Legitimation für Mord akzeptiert wird – sagte ich ihm zu.

Mehr als ein Auffangbecken für Versager

Auf dem Weg hoch zum Verbindungshaus fing ich an, mir Gedanken zu machen, was genau mich jetzt an diesem Abend erwarten würde. Da ich von ihm keinerlei Informationen ausser «Wir sitzen zusammen, trinken was und haben Spass» erhalten habe, waren meiner Fantasie keine Grenzen gesetzt. Nach einigem Überlegen stellte ich mir den Abend so vor, wie es mir die Vorurteile, die ich von anderen über Verbindungen gehört hatte, nahelegten: Da werden nun ein paar asoziale, übergewichtige Typen ohne Freunde sitzen, sich ein Bier nach dem anderen reinziehen und bei nächster Gelegenheit aus dem Studium fliegen. Da mein Alternativplan an diesem Abend war, mit anderen Mitstudierenden an einer WG-Party zu trinken und danach ins (damals noch nicht umgebaute) Trischli zu gehen, war es mir recht einerlei – der Schluss des Abends würde sowieso betrunken im heimischen Bett enden.

Doch schon nach wenigen Minuten, nachdem der Anlass mit der Studentenverbindung begonnen hatte, merkte ich, dass ich im Verbindungshaus definitiv besser unterhalten wurde: Anstatt die übergewichtigen Versager traf ich engagierte Studierende, die sich auch neben dem Studium im Berufsleben einsetzten und mir in einigen Belangen und Fragen, was das Studium angeht, sofort helfen konnten. Schnell hatte ich meine Vorstellung, dass Verbindungen ein Auffangbecken für einsame Versager darstellen, revidiert und sah darin einen Verein von Freunden, die ihrem Beisammensein eine feste Form gegeben haben und neben den üblichen Treffen auch Unternehmen besuchen, mit ehemaligen Mitgliedern und heute erfolgreichen Wirtschaftsführern Diskussionen führen und gemeinsame Reisen organisieren. Sofern ich mich richtig erinnere, habe ich noch am gleichen Abend gefragt, wann und wie ich Mitglied werden könne. Im gleichen Semester noch nahm ich teil an einer Unternehmensbesichtigung bei Ernst & Young mit diversen Workshops und anschliessendem Apéro, fuhr mit der Verbindung nach Lugano, konnte aber leider nicht an einem gemeinsamen Wochenende in Schaffhausen teilnehmen.

Während meiner Zeit in der Verbindung habe ich auch den geschichtlichen Hintergrund der Verbindungen an der Universität St. Gallen besser kennengelernt. So bestimmten Verbindungsmitglieder in früheren Zeiten massgeblich die Geschicke der Universität, indem mehrere Studentenschaftsvertreter – insbesondere der Studentenschafts- Präsident – oder sogar Rektoren aus den Reihen der Couleuriker kamen. Durch diverse Vorurteile, wie auch ich sie leider hatte, werden solchem Engagement heutzutage grosse Steine in den Weg gelegt.

Heute, bald drei Jahre nach meiner Aufnahme, bereue ich eigentlich nur, dass ich erst so spät beigetreten bin; schon alleine wegen der Unterstützung durch die Mitglieder aus den höheren Semestern in der Lernphase oder der diversen Jobangeboten aus den Reihen der Ehemaligen, um nur die zwei oberflächlichsten Vorteile, die ich daraus ziehen kann, aufzuzählen.

Alles nur Vorurteile

Ich frage mich immer wieder, wie es dazu kam, dass ich anfangs schon fast so etwas wie Abscheu gegenüber Studentenverbindungen empfinden konnte. Wieso ich den gängigen Vorurteilen – alles Alkoholiker, keine Freunde und sonst auch Totalversager – einfach so Glauben schenkte. Wenn ich mich und die anderen Farbenbrüder heute anschaue und mit den Vorurteilen vergleiche, sehe ich absolut keine Legitimation darin. Wenn man den Verbindungsmitgliedern ein Alkoholproblem bescheinigen will, sollte man die üblichen Verdächtigen aus Trischli, Elephant und Co. gleich mit in die Reha schicken. Das Gerede von Trinkzwang und dem obligatorischen Besäufnis ist schlichtweg Blödsinn. Keine Verbindung will ein Mitglied in ihren Reihen haben, dem es ums Betrinken geht und nicht ums Beisammensein. Auch sollten all diese Fahnendelegationen an Bachelor-/Master- und Promotionsfeiern beweisen, dass Jahr für Jahr mehrere Verbindungsmitglieder sich als Absolventen der HSG bezeichnen können.

Ich will hier keinen Lobgesang auf die Studentenverbindungen starten. Manche Leute eignen sich dazu und manche nicht, aber es wäre eine Freude zu sehen, wenn sich die Menschen nach dem Lesen dieses Artikels unvoreingenommen gegenüber Verbindungen zeigen könnten. Schlussendlich gehören sie seit Jahren zum Bild der HSG und haben auch die Entwicklung unserer Universität entscheidend beeinflusst – sei es durch Engagement in der Studentenschaft oder sogar durch den einen oder anderen Rektor, der ebenfalls ein ehemaliger Farbenbruder ist.

Kontroverse: Wie denkst du über Verbindungen?

Spezielle Bräuche, das Tragen seltsamer Mützen sowie lautes Singen von Liedern – die Vorurteile gegenüber Verbindungen sind gross aber trotzdem gibt es an unserer Uni eine Vielzahl davon. Auch die stetig steigende Anzahl an Mitgliedern zeigt, dass Verbindungen ihren Reiz noch lange nicht verloren haben. Trotzdem gehen die Meinungen bezüglich des Beitritts zu einem derartigen Verein weit auseinander.

Contra

«Um ein Jahr Befehle von Personen auszuführen, die möglicherweise inkompetent sind, melde ich mich lieber zum Durchdiener im Schweizer Militär an, da verdiene ich wenigstens Geld. Wer ein wenig Stolz besitzt, der engagiert sich lieber bei einem richtigen Verein und bewirkt etwas, anstatt nach dem Bachelor ‹brainwashed› und mit einer Bierwampe rumzulaufen.»

Daniel Kunz

«Wer glaubt, um echte Freunde zu finden, erst einmal in monatelange, teils menschenverachtende Vorleistung gehen zu müssen, dem sind schon vor(!) Beginn seines Studiums an der HSG sämtliche gesellschaftliche Werte wie bedingungslose Hilfsbereitschaft und Solidarität abhanden gekommen. Da halte ich es lieber mit dem treffenden Wahlspruch der AV Bodania: Wer keine Freunde hat, findet dort sicher auch keine!»

Fabian Fechner

Pro

«Die Verbindung ist ein Ort, an dem ich Freunde für die Ewigkeit gefunden habe, die mir während des Studiums stark geholfen haben, meine akademischen Leistungen zu verbessern, und der mir interessante Gespräche mit älteren Jahrgängen ermöglicht hat. 95 Prozent der Vorurteile, die herumgeistern sind völlig unbegründet und falsch. Die anderen fünf Prozent der Vorurteile, die stimmen, gefallen den Mitgliedern sogar sehr.»

Elyar Sherkati

«Das Studium erfolgreich bestreiten und gleichzeitig unvergessliche Momente mit Freunden erleben – deshalb sollte man Couleuriker werden. Durch das Engagement innerhalb der Studentenverbindung lernt ein Couleuriker Verantwortung zu übernehmen, hat die Möglichkeit, das Verbindungsleben aktiv mitzugestalten und sich persönlich weiterzuentwickeln. Durch die regelmässigen Treffen halten die Freundschaften häufig ein Leben lang an und lassen einen die schöne Studienzeit nie ganz vergessen.»

Sereina Spescha


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