Von Rabenmüttern und Karrierefrauen

Frauenquote, Vaterschaftsurlaub, Home-Office: Die Diskussion über die Vereinbarkeit von Kind und Karriere ist keine neue. Und doch ist die Antwort auf die Frage nach der Vereinbarkeit nicht einfach.

Das Konzept der Krippe kannte ich lange nur vom Hörensagen. Ich assoziierte den Begriff noch bis weit in die Primarschule hinein mit Jesus im Stall von Bethlehem, der in der Krippe im Stroh liegt. Vielen Kindern in meinem Umfeld ging es ähnlich. Heute macht sich das insbesondere in familienpolitischen Diskussionen bemerkbar. Nach dem Motto «Alles, was ich nicht kenne, ist schlecht» hört man häufig Aussagen wie: «Weil meine Mama immer da war, hatte ich eine wunderschöne Kindheit. Dasselbe möchte ich für meine eigenen Kinder» oder «will eine Frau nicht zu Hause bleiben, soll sie auch keine Kinder haben». Diese gesellschaftliche Haltung gegenüber der Erwerbstätigkeit von Müttern zeigt sich auch in verschiedenen Statistiken: Laut einer OECD-Studie sind in der Schweiz knapp 60 Prozent der Eltern, deren Kinder 15 Jahre oder jünger sind, der Ansicht, dass Frauen der Familie zuliebe beruflich kürzer treten sollen. Im Vergleich dazu sind es in den nordischen Ländern im Schnitt  zwischen zehn und 15 Prozent, in Russland rund 70 Prozent. Tatsächlich gaben 2006 knapp 80 Prozent der nicht erwerbstätigen Frauen die Familie als Grund für den Verzicht auf eine Anstellung an. Angesichts dieser Zahlen kann man sich fragen: Wollen Herr und Frau Schweizer überhaupt, dass sich Familie und Beruf vereinbaren lassen? Diese Frage wird jedoch redundant, wenn wir uns vor Augen führen, was wir alles nicht wollen:

  1. Geld ausgeben für die Ausbildung von Frauen, die nach dem Studium (Vollzeit) zu Hause bleiben;
  2. Fachkräftemangel und folglich immer mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland;
  3. sinkende Geburtenraten, weil Frauen sich auf Kosten der Familie für die Karriere entscheiden (Stichwort AHV-Finanzierung).

Insofern bleibt kaum eine andere Option als ein gut schweizerischer Kompromiss zwischen Arbeit und Familie.

Arbeiten wollen oder müssen?

Glücklicherweise lässt sich die Vereinbarkeit (zumindest theoretisch) sehr individuell ausgestalten. Das ist auch notwendig, denn sowohl die Bedürfnisse der einzelnen Familien als auch jene der Arbeitgeber variieren stark. In der Praxis ist das alles aber dann doch nicht ganz so einfach: Die Bandbreite der Motive für das gewählte Familienmodell bewegt sich grob gesagt zwischen den zwei Extremen «arbeiten wollen» und «arbeiten müssen». Steht das Wollen im Vordergrund, weil der Job Freude bereitet oder Eltern Karrierechancen nicht verpassen wollen, sind Betreuungskosten und Doppelbelastung ein freiwilliges Opfer. Sieht sich eine Familie jedoch mit der Situation konfrontiert, dass beide  Elternteile arbeiten müssen, sind anfallende Kosten und Mehraufwand eine Belastung, die gezwungenermassen in Kauf genommen werden muss.

Grenzkosten der weiblichen Erwerbstätigkeit

Finanzielle Aspekte sind dennoch in den allermeisten Fällen wegweisend. Viele Männer wünschen sich eine Reduktion des Pensums, während Frauen ihre Arbeitszeit tendenziell ausdehnen möchten. Diese Anliegen scheitern regelmässig daran, dass man sich eine Reduktion auf der Seite des Mannes nicht leisten kann und sich eine Erhöhung des Pensums der Frau finanziell nicht lohnt. Dies bestätigen auch Untersuchungen von Monika Bütler, Professorin für Volkswirtschaftslehre, im Zusammenhang mit den Kosten familienexterner Kinderbetreuung. Sie zeigen, dass sich die Erwerbstätigkeit in der Regel nur dann auszahlt, wenn das Kind weniger als drei Tage in einer Kita verbringt: Durch die progressive Subventionierung der Tagesstätten entspricht das zusätzliche Einkommen ab dem dritten Tag (fast) den zusätzlichen Betreuungskosten. Die Konsequenz sind mangelnde Anreize, insbesondere für gut ausgebildete Frauen, da qualifizierte Tätigkeiten häufig ein Pensum von mindestens 60 Prozent verlangen. Damit verbunden ist das Phänomen der Teilzeit-Falle. Zwar sind in der Schweiz im internationalen Vergleich  überdurchschnittlich viele Frauen zumindest teilzeitbeschäftigt, die karrieretechnischen Entwicklungsmöglichkeiten in diesen Positionen sind jedoch äusserst gering.

Engagierte Väter

Die Situation liesse sich möglicherweise dadurch verbessern, dass auch Männer in höheren Positionen häufiger Teilzeitpensen einfordern, damit ein gedanklicher Wandel angestossen wird. Häufig entsteht nämlich dadurch Raum für eine vertiefte Vater-Kind-Beziehung und somit ein essenzieller Mehrwert, sowohl für den Partner als auch für die Kinder. Dennoch stehen bei Überlegungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf Partizipationsoptionen für Mütter in der Arbeitswelt weitgehend im Vordergrund. Wäre es nicht sinnvoll, die Möglichkeiten für ein stärkeres familiäres Engagement der Väter mindestens in gleichem Masse zu thematisieren? Denn abgesehen davon, dass die beiden Aspekte interdependent sind, würden Väter aktiver integriert und die Thematik weniger in die Frauenemanzipations-Ecke gedrängt. Zudem haben viele Väter das Bedürfnis, eine aktive Rolle im Leben ihrer Kinder zu spielen. Tatsächlich setzt sich der Bund nicht nur das Ziel, bis 2020 dreissig Prozent Frauen in den obersten Gefilden der bundesnahen Betriebe zu beschäftigen – mit der Kampagne «Teilzeitmann» wird auf nationaler Ebene auch das Ziel verfolgt, dass bis 2020 nur noch vier von fünf Männern Vollzeit arbeiten. Hitzig diskutiert wird auch die gesetzliche  Verankerung eines Vaterschaftsurlaubs oder einer Elternzeit. Bislang beschränkt sich der Gesetzgeber darauf, den frischgebackenen Vätern einen einzigen Tag mit der Frau und dem Neugeborenen zu gewähren. Der Bundesrat prüft nun die Einführung der Garantie für eine Pensumsreduktion von 20 Prozent im ersten Jahr. Diese Massnahme wird in der Öffentlichkeit jedoch als wirkungslose Alibi-Übung beschimpft. Mit der schwachen Priorisierung von Elternurlauben hinkt die Schweiz allen EU-Ländern hinterher.

Mehr Probleme als Lösungen

Solche Ziele und öffentliche Debatten setzen dringend notwendige Zeichen für Arbeitgeber, denn rund ein Drittel der Eltern von bis zu 15-jährigen Kindern leidet unter Vereinbarkeitsproblemen. Neben der Doppelbelastung und dem damit verbundenen Zeit- und Schlafmangel werden häufig auch das schlechte Gewissen gegenüber den Kindern und dem Arbeitgeber sowie Krankheiten von Kind oder Betreuungspersonen als grosse Herausforderung empfunden. Dazu kommt häufig auch die Angst, am Arbeitsplatz nicht ernst genommen zu werden, oder Unverständnis seitens des familiären Umfelds. Zwar kommen viele Arbeitgeber ihren Mitarbeitern mit flexiblen Arbeitszeiten, Home Office oder eben einem Teilzeitpensum entgegen. Jedoch werden solche Möglichkeiten oft erst bei expliziter Nachfrage angeboten. Insbesondere in Unternehmen, in denen nicht schon andere Angestellte von solchen Optionen profitieren, ist das Bewusstsein für die Möglichkeiten relativ gering. Durch konkrete Zielvorgaben werden Unternehmen dazu animiert, ihren Beitrag aktiver zu kommunizieren.

Rein biologisch gesehen sind Mütter nur in den ersten Wochen, vielleicht Monaten für die Kinderbetreuung wirklich besser geeignet als Väter. Dass es jedoch auch nach der Stillzeit mehrheitlich Frauen sind, die zu Hause bleiben, ist strukturell und gesellschaftlich bedingt. Langsam aber sicher ist es an der Zeit, das Gesellschaftsbild des Mannes als heldenhafter Alleinversorger dorthin zu verbannen, wo es herkommt: in die Vergangenheit.

Rein biologisch gesehen sind Mütter nur in den ersten Wochen, vielleicht Monaten für die Kinderbetreuung wirklich besser geeignet als Väter. Dass es jedoch auch nach der Stillzeit mehrheitlich Frauen sind, die zu Hause bleiben, ist strukturell und gesellschaftlich bedingt. Langsam aber sicher ist es an der Zeit, das Gesellschaftsbild des Mannes als heldenhafter Alleinversorger dorthin zu verbannen, wo es herkommt: in die Vergangenheit.


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