Warum Kleidung waschen, wenn man auch neue kaufen kann?

Trotz schockierender Bilder und Berichte über die Arbeitsbedingungen von Textilarbeitern überdenken nur wenige ihren Konsum. Vielleicht ist hier ein anderer Ansatz gefragt? Eine Ausstellung im Textilmuseum geht dem auf den Grund.

Savar, Dhakar in Bangladesch, 24. April 2013 – beim Einsturz der Fabrik Rana Plaza sterben 1 134 Menschen. Noch im Dezember 2013 sind fast 200 Leichen nicht identifiziert. Mütter, Ehefrauen, Brüder werden verschüttet und vermisst. Viele Angehörige können sich nicht einmal verabschieden. Was ein Weckruf für uns Konsumenten hätte sein müssen, verhallt zwar nicht ungehört, doch ohne einschneidende Veränderungen. Die Bilder dieser Tragödie sind auch die Ersten, die mir beim Besuch der «Fast Fashion»-Ausstellung im Textilmuseum St. Gallen ins Auge springen. Es ist ein Samstag mit typischem St. Galler-, also idealem Museumswetter. Während ich mich durch den Nieselregen kämpfe, beginne ich zu befürchten, gleich in einer schrecklich moralisierenden Ausstellung zu stehen. Doch schon beim Eintritt in die Ausstellungsräume wird klar, dass meine Befürchtungen unnötig waren. «Fast Fashion» will informieren und kritisieren – will uns nicht moralisch belehren, sondern durch verschiedenste Methoden nahebringen, in welchen Zusammenhängen unser Einkauf steht. Die Schlüsse daraus zu ziehen, ist jedem Besucher selbst überlassen.

Kontrast in der Modewelt

Ein Stockwerk unter «Fast Fashion» findet sich im Textilmuseum die Ausstellung «Traum & Realisation», die sich mit der Textilproduktion in der Ostschweiz vom 16. Jahrhundert bis heute auseinandersetzt. Um 1910 stellte St. Galler Spitze den grössten Exportzweig der Schweizer Wirtschaft dar und galt in der ganzen Welt als begehrenswertes Luxusgut. Der Verfall begann mit dem ersten Weltkrieg, doch auch heute ist Spitze aus der Ostschweiz noch bei exklusiven Haute Couture-Labeln gefragt.
Zudem bewahrt das Schweizer Modehaus Akris den weltweiten Ruhm der St. Galler Textilproduktion. Das 1922 gegründete Label beschäftigt heute circa 550 Mitarbeiter und produziert komplett in der Schweiz. Als an über 500 Stellen weltweit verfügbare Marke hat sich Akris im High-end-Fashion Bereich etabliert. Getragen werden ihre Stücke unter anderem von Michelle Obama, Condoleezza Rice oder Nicole Kidman. Auf zwei Stockwerken zeigt sich im Textilmuseum der riesige Kontrast in der Modewelt zwischen Fast Fashion einerseits und der Haute Couture als absoluter Spitze.

40 Prozent hängen ungetragen im Schrank

Fast Fashion ist ein Ausdruck für die sich immer schneller drehende Modeindustrie. Heute ist eine Zeit von zwei Wochen vom Entwurf bis zur Auslieferung möglich. Obwohl der Markt gesättigt ist, gelingt es der Modebranche immer wieder, neue Bedürfnisse zu schaffen. Verschleiss spielt in diesem Business keine Rolle.
Fast Fashion Brands kopieren blitzschnell die neuesten Trends der High Fashion Labels und locken Kunden mit bis zu zwölf Kollektionen durchschnittlich 20 Mal pro Jahr in ihre Läden. Und da die Preise dieser Ketten immer weiter sinken, gewinnt der Konsument den Eindruck, beim Einkauf zu sparen und so noch öfter neue Kleidung konsumieren zu können. Und tatsächlich investiert der Durchschnittsdeutsche lediglich 4,6 Prozent seiner Konsumausgaben in Kleidung und Schuhe. Dennoch hängen bis zu 40 Prozent ungetragen im Kleiderschrank.
Die Ausstellung konzentriert sich insbesondere auf die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Fast Fashion. Besonders eindrücklich sind für mich die persönlichen Statements der Textilarbeiterinnen, die samt Foto an einer Säule im ersten Raum prangen. Zudem wird Fast Fashion von zahlreichen Videos und Grafiken illustriert und erreicht so die Besucher. Besonders interessant, da selten in den Medien prominent, war für mich der Recycling-Zyklus unserer Kleidung, auf den die Ausstellung detailliert eingeht. So reist beispielsweise eine Jeans, nachdem sie bereits bei der Produktion unzählige Kilometer zurückgelegt hat, nach unserem Einwurf in den Altkleidercontainer per Containerschiff zu riesigen Kleidungsballen gepresst zurück in Länder wie Sambia oder Bangladesch. Je nach Wiederverwertungsmöglichkeiten werden die Kleider sortiert, geschreddert oder wiederverkauft.
Den Arbeitern, welche die Kleidung am Hafen sortieren, ist schleierhaft, wie westliche Menschen kaum getragene Textilien schon wieder wegschmeissen können. So erzählt eine Arbeiterin in einem Film, sie und ihre Kolleginnen hätten gehört, im Westen sei der Preis für Wasser aufgrund Wassermangels genauso hoch wie für Kleidung und daher lohne sich das Waschen nicht. Anders könne sie sich die Berge an Klamotten auch nicht erklären. Ja, so unerklärlich und absurd wirkt unser Verhalten von aussen betrachtet.

03_Garment Workers in Deathtrap_ Taslima Akhter_ Nobody knows who are they, what is the relation between them but the crude reality make them closer and may be they are trying to save each other and the last moment of their life from the death trap of Savar Rana Plaza_. Embrace in Death. Near about 438 workers died as building Collapse at Savar Rana Plaza. Most of them are women. Savar Dhaka, Bangladesh, 24th April 2013
Katastrophe in der Fabrik Rana Plaza.

13 Cent von 4,99 Euro sind Lohnkosten

Eine der Reaktionen auf die eingangs erwähnte Katastrophe der Fabrik Rana Plaza war eine teilweise Verlagerung der Produktion nach Osteuropa. Doch zeigt die Ausstellung auf, dass man sich hierbei keinesfalls darauf verlassen sollte, dass sich mit dem «Made in Europe» Zettel die Produktionsbedingungen verbessert hätten. Erstens bedeutet ein solcher lediglich, dass der letzte Arbeitsschritt, zum Beispiel das Annähen der Knöpfe, in Europa stattfand, und zweitens sind die Bedingungen oftmals auch in Europa katastrophal. So deckt der Mindestlohn in Mazedonien oder Bulgarien nur 14 Prozent des Existenzlohnes ab und liegt damit prozentual sogar noch unter jenem in Ländern wie Bangladesch oder Sri Lanka. In der gesamten Fast Fashion Industrie machen Lohnkosten nur einen winzigen Bruchteil aus. So gehen von einem 4,99-Euro-T-Shirt gerademal 13 Cent an die jeweiligen Arbeiter.

Slow Fashion als Alternative

Im letzten Raum der Ausstellung wird auf die Slow Fashion Bewegung als Alternative aufmerksam gemacht. Hierbei geht es um nachhaltige Mode, bewussten Konsum, faire Bedingungen für Textilarbeiter und ökologisch vertretbare Produktion. Durch eine nachhaltigere Herstellung soll die Qualität der einzelnen Stücke steigen und Werte wie Langlebigkeit neues Gewicht erhalten. Auch Vintage-Kleidung und zahlreiche Möglichkeiten zum Reparieren und Wiederverwerten von Textilien gehören zu diesem Ansatz. Und mal ehrlich, ist es nicht schöner, ab und zu ein heiss geliebtes Teil zu erstehen, das einen jahrelang begleiten kann, als jeden Monat im Rausch fünf Kleider zu kaufen, die sich nach einmal Waschen in einen Sack verwandeln?
Doch diese Entscheidung überlasse ich euch – ganz im Sinne der Austellung.

Bilder: Taslima Akhter, Susanne Friedel, Tim Mitchell/zvg


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