Weidmanns Heil in SG

Jagen gehört zu unseren archaischen Urinstinkten und obwohl wir unseren Fleischbedarf heute bequem im Migros und Co. stillen könnten, gibt es immer noch einige, die der Passion Jagd nachgehen.

Am westlichen Rande des Kantons St. Gallen, in einem zirka 1660 Hektar grossen Jagdrevier namens «Rütiberg- Speer Schänis», kämpfe ich mich durchs Unterholz, stampfe und klopfe mit meinem Stock, ohne den ich vermutlich längst in irgendeiner Schlucht läge, an Bäume und bemühe mich, das vor mir vermutete Wild in die richtige Richtung zu treiben. Also vor die Fadenkreuze meiner heutigen Mitstreiter – kaum zu glauben, aber ich befinde mich auf der Jagd.

Beim mühseligen Aufstieg wird einem wenigstens warm – so versuche ich, mir das Treiben schönzureden. Ausserdem verdient man sich damit, beim nächsten Trieb wieder bei den Jägern sitzen zu dürfen. Es funktioniert nämlich folgendermassen: Bei einer Gesellschaftsjagd wirken immer mehrere Jäger, Treiber und Hunde zusammen. Die Jäger platzieren sich rund um ein Waldstück und die Treiber beginnen von der anderen Seite zusammen und mit Hilfe von Hunden, das Wild in Richtung der Jäger zu treiben. Alternativ gibt es noch die Ansitzjagd, bei der man von den bekannten Hochsitzen aus auf das Wild wartet.

Nach dieser doch etwas anstrengenden Erfahrung – o.k., ich gebe es zu, ich bin grausam unsportlich – werde ich Kurt, einem der erfahrensten Mitglieder der Gruppe, zugeteilt, um nun die andere Seite der Gesellschaftsjagd zu erleben: die des Schützen. Wenn ich Glück habe, werde ich sogar Zeuge, wie ein Stück Wild erlegt wird. Kurt war zwar so nett, mich zu diesem Tag einzuladen, dennoch strahlt sein Blick nun grosse Skepsis aus: Er traut mir wohl kaum zu, eine Stunde regungslos im Schnee zu sitzen und ohne ein Wort den Waldrand anzustarren. Ich mir auch nicht.

Achterbahn der Gefühle

Die Jäger und ich sitzen auf unseren Posten, das Geräusch des Jagdhorns eröffnet den Trieb. Ich kauere mich an einen kalten Baumstumpf, damit keine verräterische Kontur zu erkennen ist, und versuche die Kälte die sich vom umliegenden Schnee durch meine Kleiderschichten schleicht zu ignorieren. Und wir haben gleich zu Beginn Glück: Das Reh hat die in den Wald gehenden Treiber schon von weitem gehört und macht sich aus dem Staub, bewegt sich damit aber genau auf uns zu. Das Reh kommt aus dem Wald. Es bleibt stehen. Schaut. Dreht die Ohren. Ich wage nicht zu atmen. Kurt zielt. Mein Herz rast. Ein Teil von mir will «Stop!» und ein anderer «Schiess!» schreien. Kurt scheint sich ewig Zeit zu lassen oder die Zeit vergeht langsamer. Da knallt der Schuss durch die Luft. Das Reh kippt um. Keine Bewegung. Stille.

Nach einer weiteren relativ unspektakulären Stunde wird abgeblasen und wir können endlich unsere Beute begutachten. Erste Lektion: Man soll Respekt vor dem Tier haben. Deswegen wird dem Tier nie in den Kopf geschossen – das Ziel ist ein perfekter Blatt-, also ein Herzschuss. Ein weiterer Ausdruck dieser Haltung ist die Tradition des «letzten Bissen». Dabei wird dem toten Tier ein Tannenzweig in den Mund gegeben, um quasi mit der Natur wieder Frieden zu schliessen. Zweite Lektion: Wild wird immer an Ort und Stelle ausgenommen, weil diese Aufgabe im warmen Zustand des Tieres einfacher durchzuführen ist, die Eingeweide durch die Körperwärme des Tieres ansonsten extrem schnell zu verwesen beginnen und man nicht unnötig noch mehr Kilo den Berg hinuntertragen will. Also Jagdmesser raus, Bauchdecke der Länge nach aufmachen (oder wie der Jäger sagt «aufbrechen») und alles rausnehmen. Wichtig dabei: Der Magen des Tieres darf auf keinen Fall verletzt werden, da sonst das Wildbret, also das Fleisch des Tieres, verunreinigt wird. Herz, Niere und Leber werden gereinigt und eingepackt. Dann werden die Läufe (Beine) mit einem Seil zusammen- und an einen Stock gebunden, und ab geht es Richtung Sammelstelle.

Nach so viel Aufregung (zumindest für mich) wird entschieden, erst mal Mittagspause zu machen. Und ich bekomme endlich die Gelegenheit, mich mit einigen Mitgliedern der zirka 15 Mann starken Gesellschaft zu unterhalten. Nachdem der erste Hunger gestillt ist, das Lagerfeuer die klammen Glieder gewärmt hat und die Jass-Karten die Runde machen, kommt redselige Stimmung auf. Die etwas kauzig wirkenden Kollegen entpuppen sich als grosse Entertainer und begeistern mit lustigen bis schmerzhaften Jagdgeschichten (Fachbegriff «Jägerlatein»). Da erfahre ich von hirschgeweihdurchbohrten Unterschenkeln, der Bisskraft von Dachsen und den Finten von Rehen auf der Flucht. Alles interessant, alles zum Teil wahr, zum Teil aber auch hinzugedichtet. Und wenn man einen guten Zuhörer spielt, wird man auch als «Dütscher» (es wurde leider ignoriert, dass ich Österreicher bin) akzeptiert, vor allem wenn man sich bemüht, das Schwiizerdütsch zu verstehen. Der running gag des Tages wurde der Umstand, dass der 84-jährige Sepp schneller auf ein Reh zielte und schoss als ein gerade halb so alter Polizist der auch Teil der Gesellschaft war und auf das selbe Ziel angelegt hatte. Dass da die Seitenhiebe auf unseren «Freund und Helfer» nicht ausblieben, kann man sich vorstellen.

Keine Gnade für Bambi

Aber was bleibt übrig am Ende eines solchen Tages? Als absoluter Neuling in Sachen Jagd kann ich behaupten, sehr unvoreingenommen an die Erlebnisse herangegangen zu sein. Es war ein bis auf wenige Momente sehr ruhiger und entspannender Tag, nur zwischenzeitlich mal anstrengend oder aufregend. Eigentlich hatte ich ein ständiges Schiessen und Geballere – ja, einen Kugelhagel beim Auftauchen von nur einem Fitzelchen eines Tieres – erwartet, stattdessen fielen bei unseren drei Trieben insgesamt fünf Schüsse mit denen vier Rehe erlegt wurden. Es überwiegt also deutlich das Warten, bei dem man der Natur und der Wildnis überraschend nahe kommt. Still sitzt und wartet man und lauscht in den Wald und in sich selbst, atmet die frische, kühle Luft und bemerkt, wie belebend es ist, wenn man aus der Betonlandschaft unserer Alma Mater ausbricht und einfach einmal quer durch den Wald streift. Als Jäger muss man diese Momente lieben und zu schätzen wissen, andernfalls würde man wohl aus Frust mit diesem Hobby aufhören.

Und noch etwas bleibt am Ende eines erfolgreichen Jagdtages übrig: Fleisch. Aber kann man etwas essen, wenn man davor in dessen Bambi-Augen geschaut hat? Ja. (Ich zumindest.) Der archaische Instinkt, sich sein Essen selbst zu erlegen, hat sich jedenfalls bei mir durch ein paar Jahrtausende «Zivilisation » nicht unterdrücken lassen, und so schmeckten Rehleber und -nieren am Abend besonders fein.

FAJQ – Frequently Asked Jagd Questions

Wie wird man Jäger?

Um jagen zu können, muss man mindestens 18 Jahre alt und im Besitz einer kantonalen Jagdberechtigung sein. Diese wird einem aber nur erteilt, wenn eine kantonale Jagdprüfung abgelegt wurde. Diese Prüfung ist sehr zeitaufwändig, da man sich ein enormes Fachwissen aneignen muss. Die theoretische Prüfung umfasst unter anderem Fächer wie Jagdrecht, Wildkunde und Hundewesen. Neben dieser theoretischen Prüfung muss eine Schiessprüfung abgelegt werden. Waffenhandhabung, ein Schrot- und ein Kugelprogramm müssen absolviert werden, um diesen Teil zu bestehen. Zu diesen beiden Prüfungen kommt die obligatorische Ausbildung, die in einem der Reviere absolviert werden muss. Gesamthaft dauert die Ausbildung mindestens eineinhalb Jahre.

Was wäre ohne Jäger?

Schweizweit gibt es nur einen Kanton, der die Jagd vollständig abgeschafft hat: Genf. 1974 wurde die Jagd auf dem ganzen Kantonsgebiet per Volksentscheid abgeschafft. Seit der Abschaffung der Jagd hat sich der Bestand der Hasen vergrössert, auch der der Hirsche. Positiv zu werten sind diese Veränderungen allemal, doch gibt es natürlich auch eine Kehrseite der Medaille: Die Zahl der Tiere, die dem Verkehr zum Opfer fallen, steigt periodisch an und die Schäden, die durch Wildschweine entstehen, nehmen ebenso zu. Denn sobald im grenznahen Frankreich die Jagdsaison eröffnet ist, flüchten sich die Sauen in den Kanton Genf. Zu diesem Zweck wurde die «police nature» eingerichtet, die eine Regulation der Bestände vornimmt.
Ein Argument, das immer wieder ins Feld geführt wird, wenn es um die Abschaffung der Jagd geht, ist die Selbstregulierung. Mit der Rückkehr von Wolf und Luchs in die Schweiz sollte es doch zu schaffen sein, dass sich der Wildbestand von selbst reguliert. Dem stehen jedoch das Verkehrsnetz und die Besiedlung des Landes entgegen. Durch die somit fehlende Selbstregulation würde eine Überpopulation entstehen und in der Folge würden sich Krankheiten schneller verbreiten, und es würden auch mehr Schäden an der Landwirtschaft entstehen. Aber natürlich hat die (Nicht)Abschaffung der Jagd auch einen politischen Aspekt: So übernehmen die Jäger unentgeltlich die Hegeaufgaben und stellen für den Kanton eine Kostenerleichterung dar. Ebenso müssen die Jagdgesellschaften 50 Prozent der Kosten der Wildschäden zurückerstatten.

Reh, die Frau des Hirsches?

Die meisten Menschen denken, dass ein Reh das weibliche Pendant zum Hirsch ist: falsch. Das Reh gehört zwar, wie der Hirsch, zu den Cerviden, also den Hirschartigen, bildet aber eine eigene Art. Die Unterschiede zwischen Reh und Hirsch sind eigentlich ziemlich augenscheinlich: Ein Reh wiegt zwischen 15 und 25 kg, ein Hirsch zwischen 80 und 150 kg. Weiter hat das Rotwild Wedel, was das Reh nicht hat. Und wer jetzt immer noch skeptisch dasitzt und denkt: Papperlappapp, der Hirsch ist doch der mit dem schönen Kopfschmuck, nicht das Reh: Beide Männchen, sowohl der Rehbock wie auch der Hirschstier, haben ein Geweih – jedoch weder Hirschkuh noch Rehgeiss. Wie üblich haben es nur die Männer nötig zu protzen. Man lernt nie aus.

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