Zwei Semester in den Anden

Andrea schlug die zahlreichen Warnungen über Bogotá in den Wind. Nach einem Jahr in den Anden berichtet er von unerwarteten Parallelen zu St. Gallen: vom Wetter über die (Meer-)Säulirennen bis zum Elite-Verständnis der Uni.

Zugegeben, Bogotás Reize liegen meist etwas im Verborgenen. Insbesondere das Stadtzentrum wirkt ziemlich verwahrlost und chaotisch ­­­– fasziniert aber gleichzeitig durch eine lebhafte Vielfalt an Kuriositäten. In den Strassen wimmelt es von Strassenkünstlern, windigen Verkäufern von Street Food und gefälschten Markensonnenbrillen. Mit etwas Glück kann man bei einem Meerschweinchenrennen mitwetten. Ab und zu sind auch versteckte Oasen zu finden; kleine Plätze, auf denen das Grossstadtleben etwas ruhiger abläuft und man sich gemütlich einen wohlschmeckenden Tinton, schwarzen Kaffee, genehmigen kann.

Die Acht-Millionen-Metropole hat kein würdiges Nahverkehrssystem, lediglich ein unübersichtliches und überlastetes Busnetz. Während den Stosszeiten brauchten meine Kommilitonen oft mehrere Stunden, um zur Universität und zurück zu pendeln. Ich war deshalb froh, dass ich schnell eine hübsche Wohnung mit Dachterrasse im historischen Zentrum der Stadt, 15 Gehminuten von der Uni entfernt, fand. Die Dachterrasse ­konnte ich jedoch nur eingeschränkt geniessen, denn Bogotá weist gewisse klimatische Ähnlichkeiten mit St. Gallen auf: viel Nebel und man sollte jederzeit mit Regen rechnen. Da sich die Stadt nahe am Äquator befindet, gibt es keine eigentlichen Jahreszeiten, lediglich Monate mit viel und Monate mit sehr viel Regen. Wenn die Sonne aber trotzdem mal scheint, brennt sie dafür umso stärker. Ein echter Bogotano, das wurde mir bereits zu Beginn erklärt, sei deshalb stets auf alle Wetterlagen vorbereitet und verlasse das Haus nie ohne Regenschirm und Sonnenbrille. Lediglich auf kurze Hosen solle man verzichten, wenn man nicht als «Gringo» abgestempelt werden wolle.

Die Universidad de los Andes liegt am Fuss von Bogotás Hausberg und verfügt über einen kleinen aber feinen Campus mit vielen Grünflächen. Es ist deutlich spürbar, dass es sich um die renommierteste, aber auch teuerste, Privatuni des Landes handelt. Ohne gültigen Studentenausweis ist es unmöglich, den Campus zu betreten. Dafür sorgen Drehkreuze und eine kleine Armee von privaten Sicherheitskräften mit Wachhunden. Das hat auch seine Schattenseiten. Nicht ganz zu Unrecht hat die Uni Andes einen etwas elitären Ruf, der sich leider auch in der Einstellung einiger Studenten widerspiegelt. Als die Unileitung vor Kurzem vorschlug, als Zeichen für eine offenere Gesellschaft während eines bestimmten Tages die Drehkreuze zu öffnen und auch das «normale Volk» auf den Campus zu lassen, gab es einen regelrechten Aufschrei. Dies steht traurigerweise sinnbildlich für das tiefe Misstrauen in der sonst so herzlichen und gastfreundlichen kolumbianischen Gesellschaft. Für viele meiner kolumbianischen Freunde war es unverständlich, wie ich im Stadtzentrum leben konnte – schliesslich gäbe es dort nur Obdachlose, Strassenkinder und Junkies. Ich teilte diese Meinung hingegen nicht und nach einem Jahr ohne Zwischenfälle kann ich getrost sagen, dass die Sicherheitslage in Bogotá viel besser ist als ihr Ruf.

Die Kurse an der Uni Andes sind mehrheitlich Seminare und befassen sich thematisch oft mit dem bewaffneten Konflikt in Kolumbien. Die Dozenten sind Experten auf ihrem Gebiet und schaffen ein interessantes und interaktives Unterrichtsklima. Da der Unterricht ausschliesslich auf Spanisch erfolgt, sind gute Kenntnisse dieser Sprache allerdings ein Muss.


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