Zwischen Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung

Die HSG strebt das Idealbild einer weltläufigen Universität an. Doch inwiefern findet Pluralität und Integration verschiedener Kulturen tatsächlich statt?

Jedes Vereinsleben, wenn es zu stark wird, führt zu einer Versäulung.» In der Soziologie spricht man laut Franz Schultheis, Soziologieprofessor an der HSG, von einer Vergemeinschaftung anstatt einer Vergesellschaftung: Grenzziehungen können entstehen (etwa Ab- und Ausgrenzungen), es lauert die Gefahr des Rückzugs in das Schneckenhaus der eigenen Kultur. Insbesondere an einer Universität, welche das Idealbild einer globalen Elite vertreten möchte, scheint dieser Rückzug ein Scheitern der angestrebten Transkulturalität zu sein. Eine fremde Umgebung bietet das Potential, seine Heimat von innen und aussen kennenzulernen. Doch nur durch interkulturelle Sozialisierung schöpft man dieses Potential aus und setzt sich nicht nur mit dem eigenen, sondern auch mit dem Fremdbild seiner Kultur auseinander.

Vereine als zweite Familie

Jedoch muss aus einem zeitweiligen Rückzug in die eigene Gemeinschaft nicht zwingend eine Abschottung folgen. Ein Club bietet auch Nestwärme in der Fremde, wirkt dem Gefühl von Vereinsamung und Entwurzelung entgegen und gibt Halt.

Natürlich fördert es das Sprach- und Kulturverständnis am effektivsten, wenn ein einzelnes Individuum sich an einer fremden Universität alleine unter den Lokalen integrieren muss. Doch nicht jeder fühlt sich in einem solchen Szenario wohl: «Einige sind härter im Nehmen, andere brauchen Gleichgesinnte zur emotionalen Stabilisierung», so Franz Schultheis. Schlussendlich macht es die gute Mischung aus. Es ist an sich nichts Negatives, sich durch die Mitgliedschaft in einem Verein ein kleines Gefühl von Heimat zu bewahren. Neben der Vielzahl an kantonalen Vereinen gibt es auch Clubs, welche grössere Regionen fremder Kultur und Sprache repräsentieren. Zwei Beispiele an der HSG dafür sind der Club Latino und der Italian Club. prisma hat deren Präsidenten getroffen und über ihre Vereinskultur gesprochen.

Ein Stück Heimat

Daniel Schmid Perez, Präsident des Club Latino
Daniel Schmid Perez, Präsident des Club Latino

«Für mich ist die HSG auf jeden Fall international! Zumindest der englische Track.» Daniel Schmid Perez ist Mexikaner und seit zwei Jahren in St. Gallen. Seit dem Herbstsemester 2015 ist er Präsident des Club Latino, welcher über 40 Mitglieder aus lateinamerikanischen Ländern führt. Obwohl es den Verein schon seit zehn Jahren gibt, sei er über die letzten Jahre wenig aktiv gewesen, erklärt Daniel. Zusammen mit weiteren lateinamerikanischen Studenten war es sein Wunsch, den Club grösser und bekannter zu machen. «Wir sind alle sehr weit weg von zu Hause, in St. Gallen stellt der Verein meinen Familienersatz dar.» Im Durchschnitt fährt Daniel einmal im Jahr zurück nach Mexiko. Den Rest des Studienjahres verbringen er und die meisten anderen Mitglieder des Vereins in der Schweiz. «Vor allem über das Wochenende oder während dem Break verbringen wir alle viel Zeit miteinander, da wir uns in der gleichen Situation befinden.» Durch den Verein ist er mit Gleichgesinnten in Kontakt gekommen und hat so seine Freunde kennengelernt. Dieses Familiengefühl, weit weg von zu Hause, möchte er an junge Studenten weitergeben.

Einseitig international

Trotz der von ihm wahrgenommenen Internationalität findet Daniel, dass der deutsche Track im Gegensatz zum englischen isolierter scheint und unter sich bleibt. Kontakt zu Schweizerdeutschen hat er allgemein nur wenig. «Ich kann mir gut vorstellen, dass die Deutschsprachigen einen ganz anderen Eindruck der Internationalität der Uni haben, einen eher begrenzten.» Ihm ist durchaus klar, dass beispielsweise er und seine Kollegen eher unter sich bleiben. Aber diese Abgrenzung erscheint ihm durchweg natürlich, zieht man die kulturellen (Sprache) und alltäglichen Differenzen (Wochenende) im Studienalltag in Betracht.

Interesse vor Nationalität

«Das Schöne am Italian Club ist die offene Atmosphäre, das Teilen des Interesses an einer gleichen Kultur.» Chiara Grazioli ist ursprünglich aus Rom und aktuelle Vizepräsidentin des Italian Clubs an der

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Vorstand des Italian Club at the University of St. Gallen

HSG. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Martina Tatavitto engagiert sie sich seit zwei Semestern im Verein, um diesen grösser und bekannter zu machen. Obwohl es den Italian Club schon seit 2012 gibt, ist er bis jetzt wenig bekannt. Das soll sich nun ändern. Momentan hat der Verein ungefähr 15 Mitglieder von denen die wenigsten 100 Prozent Italiener sind, sie haben vielmehr italienische Wurzeln und wollen diese ein wenig auffrischen. «Uns geht es überhaupt nicht darum, dass in dem Verein nur Italiener sind. Vielmehr wollen wir Italiener und solche, die sich für Italien interessieren, zusammenbringen, ihnen ein Heimat-Gefühl geben.» Auch wenn bei weitem nicht alle italienischen Studenten auf der Suche nach Kontakt zum Italian Club sind, so erscheint es Chiara dennoch wichtig, dass man den Studenten zumindest die Möglichkeit eines solchen Kontaktes bietet. Vor allem in schwierigen oder stressigen Situationen während des Assessments, wenn man noch ganz neu in der Stadt ist, fällt es doch immer leichter, Kontakt zu Landsleuten herzustellen, sei es wegen der Sprache oder einfach weil sie sich in einer ähnlichen Situation befinden wie man selbst.

Der internationale Master

Auf die Frage nach der wahrgenommenen Internationalität der HSG antwortet Chiara etwas zögernd. Für sie wird die Universität erst im Master wahrhaftig international. «Im Bachelor kämpft ein jeder ein wenig für sich und die verschiedenen Nationalitäten sind noch sehr getrennt. Im Master hat man vielmehr das Gefühl, dass alle Studenten eine Einheit bilden.» Die grosse Anzahl der Studenten, vor allem der deutschsprachigen, macht das jedoch schwer, und als nicht Deutschsprachiger kann man sich an der Universität schnell alleine fühlen. «Hier an der HSG ist der Verein meine Heimat, wenn ich zu Hause vermisse; das sollen auch andere bei uns finden können!»

Integration trotz Differenz

Schliesslich bieten die Clubs den Studenten zwar eine Gemeinschaft, jedoch folgt daraus nicht zwangsläufig eine Isolation. Studenten mit ausgeprägter Vereinskultur sind teils gar stärker in die HSG-Kultur integriert. So stellt die Mobilität für die Ausprägung der St. Galler Universitätskultur einen entscheidenden Faktor dar: Studenten von ferner weg ziehen in die Stadt, bleiben über das Wochenende und nehmen an Universitätsevents teil. Das alles kann die Soziabilität stärker fördern, solange die Studenten sich nicht nur ausschliesslich im Verein austauschen.

Die HSG kämpft mit dem Klischee einer sich elitär gebenden Gruppe. Die Universität St. Gallen dient gar als Musterbeispiel für die Prägekraft von Institutionen. Dabei merken die Studenten kaum, wie ähnlich sie einem bestimmten Idealtyp werden. Doch ebendieser Idealtyp bietet der universitären Integration einen Vorteil. Als eine spezialisierte Wirtschaftsuniversität lässt sie eine Art Treibhaus entstehen. Ein bestimmter Typus, ein Homo sangallensis wird darin geprägt. Es herrscht ein nonverbaler Konsens unter den Studenten, ein Zusammenhalt. Durch die Interaktion mit den Mitstudenten bilden sich gemeinsame normative Muster aus. Dabei entsteht ein grosser Teil der Sozialisation nicht innerhalb der Kurse, sondern durch praxisorientierte Veranstaltungen, wie etwa die Mitarbeit am Symposium, und nur bedingt durch die Vereine. Letztlich übergreift der kollektive Fundus der Universität die unterschiedlichen Sprachkulturen und Gemeinschaften.


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