Author Archives: Phil Ladner

  • Johannesburg – Kontraste

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    Oh Johannesburg, nur Touristen nennen dich so. Oh Jozi oder Joburg, wie dir die Leute hier sagen. Wie bist du extrem arm und extrem reich, schwarz und weiss, Paradies und Hölle zugleich. Fahren Ferraris und Aston Martins an Townships vorbei. So nah und doch so weit. Stadt der Gegensätze, alter und junger Geschichte, voll Hoffnung und Resignation. Rassismus und Multikulti. Traum nicht Realität. Man kann dich nur erkunden, wenn man Auto fährt. Oder genug Geld für ein Uber hat. Am Robot musst jeder Acht geben. Pistole blitzt auf, Gunpoint. Rückwärtsgang, kein Schuss. Polizei. Mit Vollgas in die Nacht hinein. Wie sind deine Leute freundlich, ob schwarz oder weiss, umarmen dich, strahlen. Doch wie gefangen fühlt man sich hinter elektrischen Zäunen und Gates, im goldenen Käfig, durchatmen. Drei Remote Controls im Hosensack nerven, es muss sein. Zu Fuss geht’s nicht, zu gefährlich. Die Gefahr lauert scheinbar überall. Paranoia oder Vernunft? Niemand probiert’s.

    Du begrüsst mich mit „Howzit“ an jeder Ecke. Bist verwirrt, wenn ich dir keine Antwort darauf gebe. Bist laut und jung, Lebensfreude zu Drum n Bass. Springst hoch und fällst tief, babbelas! Riechst nach Braai und Alkohol am jedem Wochenende. Bist eh outdoor, im Haus fühlst du dich unwohl, musst raus. Kommst einfach nicht, meldest dich nicht, wenn ich dich einlade. So geht’s auch nicht! Nächstes Mal, sage ich mir. Die Sonne scheint jeden Tag, bist kalt in der Nacht. Scheiss Isolation in deinen Häusern. Ohne electric blanket geht’s nicht. Löschst die Lichter manchmal. Load shedding nennt sich das. Regst auf! Pizza bei Kerzenlicht.

    Lebst getrennt von einander. Der Norden weiss, die City schwarz. Momentan failt der Slogan „Rainbownation“ immer noch. Doch auch Ausnahmen gibt’s. Weiss in Hillbrow mit Black African Accent. Baseballschläger auf dem Beifahrersitz. Das Fenster ganz wenig offen. Sei besser gegen Smash n Grab. Schreist eeeish und joooo, wenn dir was gefällt oder nicht. Sagst yebo, sharp-sharp, lekker und bruh. Wusste nicht, dass hier meine verlorenen Brüder sind. Schimpfst auf die Regierung, wählst sie trotzdem. Korruption, sie lähmt, ist unsichtbar. Doch spielen viele mit. Roadblock mit 1.8 Promille. 100 Rand geschmiert und bald Zuhause. Auch du bist hipster! Strassen Couture. Schau mich an! Cornrows, Afros und Wasserstoff-Blondinen. Alle kommen nach Maboneng und zum Neighbourgoods Market. Hätte ich nicht gedacht. Sieht so die Zukunft aus?

    Südafrikanischer Slang:

    Robot = Lichtsignal

    Howzit  = How is it?

    babbelas = Kater

    Braai = grillieren

    Load shedding = geordneter Stromausfall

    Hillbrow = gilt als gefährlichstes Viertel von Johannesburg

    eeeish und joo = Ausdruck von Erstaunen oder Wut

    yebo =  Ja auf Zulu

    sharp-sharp  =  Bye-Bye oder auch allright

    bruh = Bruder

  • Don’t be a puss, be lekker!

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    Besuch beim OppiKoppi, Südafrikas grösstes Musikfestival.

    „You gonna spend some hours in a prison cell“, raunte ein mit einer zerrissenen Sicherheitsweste bekleideter Polizist zu meiner Kollegin. Der Grund für den jähen Abbruch der von Vorfreude erfüllten Anfahrt ans alternative Musikfestival „OppiKoppi“ stellte sich meinem Verständnis von Eigentum quer. Die Übeltäterin hatte es sich doch tatsächlich erlaubt ein Bier im Auto zu trinken; sie war dabei nicht am Steuer, versteht sich. Public Drinking lautete das Urteil dennoch. Und wehe wenn er, der Polizist, noch ein zweites offenes Bier finden würde. Eine Nacht in einer Gefängniszelle hätte das zur Folge, so die unverhohlene Drohung. Das mit Camping-Utensilien vollgepackte Auto stand nun im Fokus. Amateurhaft und mit verächtlichem Blick wurden die Schlaf- und Rucksäcke inspiziert. Schnell war klar, das ganze Theater hat nur eine Absicht: Geld. Da ich schon etwas länger im Land weilte, wusste ich, dass nach dem obligaten Smalltalk irgendwann unterschwellig ein „How can I help you, officer?“ vom Beschuldigten gefordert wird. 450 Rand. Umgerechnet circa 32 Franken, lautete die unmissverständliche Antwort. Ganz Hako-Kompetenz geschult, konnte ich den Betrag auf 200 Rand (ca. 15 Fr.) herunterhandeln. Geldübergabe hinter dem Auto, TIA („This is Africa“) gedacht, have a nice day gewünscht und weiter ging’s!

    Auf zum OppiKoppi (von Oppi di Koppi, dt. auf dem Hügel)! Dieses Festival gilt mit mehr als 20’000 Besuchern als grösstes Musikfestival von Südafrika und befindet sich circa dreieinhalb Stunden (exkl. Polizeikontrollen) nordwestlich von Johannesburg. Als mir eine im Ski-Schlauch eingemummte Person das Eintrittsticket scannte, erinnerte ich mich an den also doch nicht von ungefähr kommenden Hashtag #InDustWeTrust, auf welchen ich bei meiner vorgängigen Instagram-Recherche gestossen war. Aber hey, das Motto dieses Festivals mit klimatisch extremen Verhältnissen (bis zu 30 Grad am Tag und um 3-4 Grad in der Nacht) wurde mir schnell von betrunkenen Südafrikanern beigebracht: „Don’t be a puss, be lekker“ (Sei kein Weichei, sei gut drauf)! Wie man unschwer erkennen kann, werden hier Afrikaans-Wörter verwendet. Das Festival gilt demnach auch als „Afrikaans“. Das Publikum setzte sich mehrheitlich aus Afrikaanern oder englisch sprechenden Weissen zusammen, es waren jedoch auch schwarze, seltener gemischte Gruppen zu sehen. Während der Apartheid wäre das noch undenkbar gewesen.

    Meine Kollegen haben mich dann bei einem Zelthotel abgeladen. Von da an war ich auf mich alleine gestellt. Allen Versuchen zum trotz, konnten wir uns während dem ganzen Festival nicht mehr finden (Akku leer, Handy geklaut). Aber egal: „Don’t be a puss, be lekker!“ So zog ich alleine durch das staubige Festivalgelände und stiess auf sehr freundliche bzw. angetrunkene Menschen in allerlei verrückten Outfits. Mein Schweizer Akzent erwies sich beim Bierbestellen als verlässlicher Gesprächs-Opener. Mit 5-Liter Kanistern, gefüllt mit Wodka-Redbull oder Brandy-Coke (inoffizielles Nationalgetränk der Afrikaans sprechenden Südafrikaner) zogen oder viel mehr torkelten die Festivalbesucher umher. „Don’t be a puss, be lekker“ – schoss es mir allmorgendlich durch den Kopf, als ich jeweils von der Hitze und Oppi…. Koppi!-Schreien aus dem Schlaf gerissen wurde. Leichter gesagt als getan. Wodka-Redbull aus dem OppiKoppi-Bidon, lekker again.

    Das Musikprogramm gestaltete sich sehr abwechslungsreich: von Singer/Songwritern wie Matthew Mole, Shortstraw und Desmond and the Tutus über aufkommende schwarze Hip-Hop Artists bis hin zu wummernden Progressive Trance Basslines wurde alles geboten. Aber die Musik ist hier, ähnlich wie am Openair St. Gallen, eher nebensächlich. Vielmehr geht es darum, die einmalige Atmosphäre des Festivals zu geniessen und sich den klimatischen Widrigkeiten zu widersetzen. Die Main-Campingsite wird nicht umsonst Mordor genannt. Spuren hinterlassen die Strapazen des Festivals in der darauf folgende Woche auch in den Arztpraxen in und um Johannesburg. Die Leute werden mit fieberähnlichen Symptomen eingeliefert, stilecht „Oppi-flu“ genannt. Das inoffizielle Leitmotto des Festivals lässt sich dann wohl doch nur für einen begrenzten Zeitraum umsetzen.

    Facts & Figures:

    • Alljährlich am 1. August Wochenende (Mittwoch bis Montag)
    • mehrheitlich südafrikanische Bands, einige internationale Acts
    • Eintrittspreis ca. 55 Franken
    • Anfahrt nur mit dem Auto möglich
    • Ski-Schlauch (engl. buff) gehört zur Grundausrüstung