Wie verlässlich sind Länderratings?

Gastbeitrag von: Géraldine Bloch und Pascal Fischer

Was alles mit dem Verteilen von Buchstaben für die Güte der Anleihen von Eisenbahngesellschaften im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts begann, hat sich bis heute zu einem bedeutenden Geschäftszweig entwickelt. Kreditratings, deren Markt zu 94% von den grossen drei Playern Standard & Poors (S&P), Moddy’s und Fitch’s dominiert wird (Tichy, 2011, S. 15), haben seither in der Finanzbranche eine zentrale Rolle eingenommen. Im Zuge der andauernden Krise stehen jedoch die Rating-Agenturen (RA) zunehmend in Kritik und deren Position wird kontrovers diskutiert. Denn ein Rating besitzt heute viel Einfluss. Die Kreditwürdigkeit eines Landes hängt unmittelbar mit ihren Kreditkosten und Kreditmöglichkeiten zusammen und kann bei niedrigem Rating zum Bankrott eines Staates führen.

Politiker schreien nach mehr Kontrolle über die „Bluthunde in Massen“ (NZZ Online, 2011) und wünschen sich eine genossenschaftliche, also kontrollierbare, europäische, ergo gutmütige, RA. So wird selten objektiv über die Zusammensetzung, Funktion und Mängel der heutigen Rating-Methodik gesprochen.

Ursprünglich waren Länderratings dazu bestimmt, eine Art Bestnote für die Unternehmen zu symbolisieren. So war es für eine Unternehmung theoretisch nicht möglich, über ein besseres Rating zu Verfügen, als das Land, in dessen Währung es bilanzierte. Dies aus der Überlegung heraus, dass die Unternehmensanleihen wegen Inflation und Wechselkursschwankungen nur so sicher sind wie die Landesanleihen. Im Laufe der Zeit wurden die Bewertungen immer mehr auch als direkte Bewertungen für die Regierungen und deren Anleihen herangezogen. Landesanleihen werden heute genauso gehandelt wie Unternehmensanleihen.

Es gibt keinen einheitlichen Prozess ein Länderrating durchzuführen. RA teilen die Bewertungsfaktoren in ökonomische und politische Risiken ein. Mit ökonomischen Risiken wird die Fähigkeit eines Landes verstanden ihre Schulden bezahlen zu können. Bei politischen Risiken wird das Augenmerk auf den qualitativen Willen der Regierung gelegt die Schulden zu bezahlen. Die zwei Risiko-Arten sind natürlich eng verknüpft miteinander. Eine Regierung, welche ihre Schulden nicht tilgen will, ist meist durch die ökonomische Lage des Landes geschwächt (Elkhoury, 2008).

Generell ist es schwierig die Klassifizierungen objektiv nachzuvollziehen. Auch weil Länderratings noch immer vom Investor bezahlt werden im Gegensatz zu Unternehmensratings. Länder werden nicht ausschliesslich anhand von quantifizierbaren Kriterien bewertet, sondern auch mithilfe von qualitativen. Weiter geben die RA keine Angaben über die Gewichtung der Kriterien an. Gemäss deren Aussagen gibt es aber eine Vielzahl von Bewertungsfaktoren, die theoretisch in die Bewertung der Länder mit einfliessen. Die Praxis zeigt jedoch ein anderes Bild: Elkhoury (2008) sowie Setty und Dodd (2003) beweisen, dass wenige Indikatoren die Ratings dominieren. Gemäss Borenstein und Panizza (2006) erklärt sogar eine einzelne Variable, das BIP pro Kopf, 80 % der Volatilität von Länderratings.

Obwohl nur wenig über die genaue Zusammensetzung der Ratings bekannt ist, werden Ratings für Banken oder institutionelle Anleger zum Killerkriterium. Speziell in Europa geniessen Ratings ein hohes Vertrauen der Institutionen (vgl. Lannoo, 2011, S. 245). So verlässt sich die EZB bei den ihr hinterlegten Sicherheiten noch immer auf die RAs. Die Bankenregulierung Basel III zeigt, dass die EU der USA, welche den Einfluss der Ratings einschränken möchte, ungefähr 75 Jahre hinterherhinkt[1].

Sollte nun eine Anleihe neu bewertet werden, schlimmstenfalls unter der Schwelle des „Investment Grade“ (BBB-), werden institutionelle Anlegen gezwungen ihre Portfolios zu prüfen und allenfalls an die Reglements anzupassen. Dies führt dazu, dass der Markt unmittelbar auf eine Rating-Änderung reagiert (White, 2010, S. 219). Das blinde Vertrauen in die Ratings hat sich auch nicht nach den offensichtlichen Fehlurteilen der drei grossen RAs bei den Staatskrisen in Asien (1997) und in Argentinien (2001) (Adam & Berg, 2010, S. 2) langfristig gemindert.

Zudem reagieren Ratings im Trend langsamer und defensiver als der Markt. Zusätzlich konnte nachgewiesen werden, dass RAs, genauso wie der menschliche Verstand dazu neigen, Faktoren emotional und somit fälschlicherweise zu stark in die Bewertung mit einfliessen zu lassen. So wurden die PIGS-Staaten von 2001 bis 2006 laufend heraufgestuft, danach bis 2009 wenig verändert, obwohl sich schon in dieser Periode in den makroökonomischen Variablen Indizien für eine Überschuldung zeigten. Zuletzt war ab 2009 ein überbordendes Herabstufen beobachtbar (Gärtner, Griesbach & Jung, 2011).

Zusammenfassend lassen sich drei essentielle Schwachstellen von Länderratings ausmachen, welche in Frage stellen, wie verlässlich Länderratings sind. Erstens lässt sich über die genaue Zusammensetzung der Länderratings nur rätseln. So verunmöglicht ein intransparentes Bewertungsmodell auch eine tiefergehende Analyse (vor allem der qualitativen Kriterien). Ein transparentes Rating hätte den Vorteil, dass vor allem Herabstufungen nachvollziehbarer würden, birgt aber auch die Gefahr, dass von den Ländern dann gezielt Ratingpolitik betrieben wird.

Zweitens sind Ratings in vielen Regulationen verankert. Dies gibt den RAs, gewollt oder ungewollt, Macht. So sind vor allem institutionelle Anleger oder auch Banken gebunden, nur Bonds einer bestimmten Güte zu halten. Wird ein Land nun herabgestuft, wird der Markt mittelfristig von Verkaufsangeboten überschwemmt.

Drittens haben Studien bewiesen, dass Ratings generell langsamer als der Markt agieren. Beispiele, dass Ratings die Zukunft nicht voraussagen können, gibt es genug. Dennoch geniessen die RAs grosse Kredibilität – obwohl diese selbst immer wieder betonen lediglich eine „Meinung“ abzugeben. Die „Meinung“ der RAs zur Wahrscheinlichkeit eines Default des Schuldners sind daher nicht in Stein gemeisselt, sondern lediglich nach bestem Wissen und Gewissen geschätzt.

Zum Schluss lässt sich wohl sagen: Kreditratings sollten helfen mittels eines kurzen Blickes auf die Verlässlichkeit eines Schuldners zu schliessen. Dieser Dienst ist für Anleger unerlässlich und deshalb sind Länderratings, trotz ihren vielen negativen Auswirkungen, aus Effizienzüberlegungen notwendig. Um jedoch die Verlässlichkeit eines Ratings zu prüfen reicht ein kurzer Blick darauf definitiv nicht.

_____________________________________________

Adam, T. & Berg, T. (2010). Reputation and the Credit Rating Industry [Vorlesungsunterlagen]. Bonn: Universität Bonn; Cailleteau, P. (2006). Moody’s special comment: A Guide to Moody’s Sovereign Ratings. Amerika: Moody’s Investors Service; Elkhoury, M. (2008). Credit Rating agencies and their potential impact on developing countries. Manhattan: United Nations; Gärtner, M., Griesbach, B. & Jung, F. (2011). PIGS or Lambs? The European Sovereign Debt Crisis and the Role of Rating Agencies. St. Gallen: Springer; Lanoo, K. (2011). Credit Rating Agencies: Part of the Solution or Part of the Problem? – Rate the Rating Agencies!. Intereconomics, Jahrgang 46(5), S. 246–247; NZZ Online. (2011). Härtere Zeiten für Ratingagenturen in der EU. Abgerufen am 23. November 2011 von: http://www.nzz.ch/nachrichten/
wirtschaft/aktuell/macht_ratingagenturen_eu_1.13325230.html; Setty, G. & Dodd, R. (2003). Credit Rating Agencies: Their Impact on Capital Flows to Developing Countries. Washington: Financial Policy Forum; Tichy, G. (2011). Credit Rating Agencies: Part of the Solution or Part of the Problem? – Did Rating Agencies Boost the Financial Crisis?. Intereconomics, Jahrgang 46(5), S. 236–245; White, L. J. (2010). The Credit Rating Agencies. Journal of Economic Perspectives Jahrgang 24(2), S. 211–226

[1] 1936 wurden in den USA die ersten Regulierungen von RA erlassen (vgl. White, 2010, S. 213)
Dieser Text wurde im letzten Semester als Teil der Prüfungsleistung verfasst. Da der Text in Form eines Blogeintrags eingereicht werden sollte, wird dieser als Teile einer Reihe mit Artikeln aus dem gleichen Kurs in einem richtigen Blog veröffentlicht. Das im Artikel verwendete Wissen entspricht dem Stand von Oktober/November 2011. Die Autoren würden sich über eine angeregte Diskussion der Thematik freuen.

______________________________________________

MEHR DAZU


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*