Ein Votum gegen das Votum

Das Referendum über die griechischen Rettungsmassnahmen wurde in letzter Minute abgeblasen. Eine Mischung aus externem Druck und Einsicht haben Ministrepräsident Papandreou dazu bewogen die Griechen doch nicht abstimmen zu lassen. Nun ist der Weg frei für eine Regierung der nationalen Einheit sowie eine konstruktive Suche nach einem Ausweg. Das geplante Referendum hätte diesen Prozess nur erschwert. Aus folgenden Gründen:

1. Eine Abstimmun über europäische Themen ist niemals eine Abstimmung über europäische Themen. Die Gemüter in Griechenland sind extrem erhitzt, der Hass gegeünber dem Regierungschef ist so ausgeprägt wie nie. Kann man sich ernsthaft vorstellen, dass Menschen in solch einer Situation kühl und rational das Für und Wider der Rettungsmassnahmen und damit die Frage des Verbleibs Griechenlands  in der Eurozone abwägen? Wohl kaum. Um vor seinen europäischen Kollegen nicht gänzlich das Gesicht zu verlieren, hätte sich der Ministerpräsident offen für eine Annahme des Pakets aussprechen müssen um zu versuchen das Volk zu überzeugen. Die Griechen hätte Papandreou gnadenlos abgestraft und das Referendum “missbraucht” um ihn indirekt abzuwählen. Gleiches ist 2005 beim Referendum über den Vertrag zur Europäischen Verfassung in Frankreich geschehen, als die Bürger ihrem Präsidenten Chirac mit ihrem Non zeigten, was sie von ihm hielten.

2. Wenn keiner eine Lösung weiss, weiss das Volk erst recht keine. Die Ratlosigkeit in Bezug auf einen Ausweg aus der Krise ist zur Tatsache geworden. Aber wenn schon die gesamte europäische Regierungselite sowie die rosenbergschen “Speerspitzen der Ökonomen” keinen Rat wissen, ist es dann ratsam ein aufgewühltes Volk entscheiden zu lassen? Ist es nicht klüger weiterhin gemeinsam nach Lösungen zu suchen? Meiner Meinung nach schon. Die europäischen Staats- und Regierungschefs, allen voran Angela Merkel, haben zwar schon viel zu viel Zeit verstreichen lassen, aber die Gipfelergebnisse von vergangener Woche zeugten zum ersten Mal von dezenter Hoffnung. Man war geneigt ein leises, verhaltenes Freude schöner Götterfunken anzustimmen. Das muss man sich nicht durch eine unüberlegte Volkstabstimmung kaputt machen lassen.

3. Das vorliegende Problem ist zu komplex für ein Referendum. Hier beziehe ich mich auf ein grundlegendes Problem von Volksabstimmungen: Sie lassen selten mehr als reine Ja-oder-Nein-Antworten zu. Für eine Krise, die, wie ausreichend erläutert, extrem komplex und schwierig ist, stellt ein Referendum somit nicht das geeignete Instrument dar. Irgendwann wird eine Lösung gefunden werden, aber sie wird nicht eindeutig sein, sie wird nicht extrem sein und sie wird von Kompromissen und Verhandlungen gezeichnet sein. Alles andere wäre für die EU schlichtweg  zu einfach.

4. An einem griechischen Referendum hinge nicht allein die Zukunft Griechenlands. Würden das griechische Volk über die Annahme der Rettungs- und Sparmassnehmen abstimmen, käme dies einer Abstimmung über den Verbleib in der Eurozone gleich. Da dies weitreichende Folgen für den gesamten Euroraum hätte, wäre es nicht nur eine Abstimmung über die Zukunft Griechenlands sondern auch über jene der Eurozone und, wenn man Angela Merkel Glauben schenken darf, auch über die Zukunft der gesamten Europäischen Union. Damit ist das griechische Volk ganz einfach die falsche Instanz. Es würde dann nämlich genau das tun, was es zu Zeit seinen Partnern Deutschland und Frankreich vorwirft: Über die Belange anderer zu entscheiden.

5. Mehr Demokratie, aber zur richtigen Zeit und an der richtigen Stelle. Vieles, was zur Zeit in Brüssel geschieht, ist für den Bürger undurchsichtig und nicht nachvollziehbar. Das liegt einerseits daran, dass die internationalen Finanzmärkte zu komplex geworden sind um sie ohne ein Hochschulstudium noch verstehen zu können. Andererseits liegt es daran, dass die EU schon vorher für den Bürger nicht transparent genug  war und sich dieser Zustand durch die Krise noch verstärkt hat. Das muss sich mit der anvisierten Änderung der Verträge ändern. Der EFSF muss transparenter und nachvollziehbarer werden, der Ministerrat durch mehr Abstimmungen nach qualifizierter Mehrheit handlungsfähiger. Erhält das Parlament weiterhin mehr Rechte und einigt man sich auch auf eine Direktwahl eines der EU-Präsidenten, wird die demokratische Legitimation ebenso verbessert wie die Identifikation der europäischen Völker mit der EU.

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2 Comments

  • Tristan

    Oh. Erst nachdem ich unter Tobias’ Artikel einen Roman gesetzt habe, ist mir aufgefallen, dass hier ja schon dagegen argumentiert wurde… Dem hier hätte ich dann eigentlich sowieso nichts mehr hinzuzufügen gehabt ;)

    Edit by Admin: “Ursprünglicher Kommentar von Tristan”

  • Tobias P

    Mit vielen Worten wenig gesagt…

    Zu
    1. Menschen sind nie kühl und rational, bei keiner Wahl, auch nicht in Deutschland, auch nicht in Brüssel – und auch nicht, wenn sie für die EU arbeiten. Ausserdem ist es anmassend und mindestens gewagt, dass Abstimmungsergebnis vorweg nehmen zu wollen.

    2. Ein Argument, dass den Menschen die Mündigkeit abspricht und nur von jemandem kommen kann, der den Glauben an die Demokratie verloren hat.

    3. Wer entscheidet, welches Problem den “richtigen” Komplexitätsgrad hat? Du etwa?

    4. In diese Abhängigkeit hat sich jeder freiwillig begeben. Ich fessele mich ja auch nicht in Ketten an jemandes Schicksal und beschwere mich dann, dass dieser jemand noch so dreist ist, und seine eigenen Entscheidungen trifft.

    5. Tolle Vorschläge! Dann haben wir ja in gerade mal 20, 30 Jahren die Möglichkeit wieder selber über unser Schicksal zu entscheiden? Ach, nee, zu früh gefreut: Da gab es noch die ein oder andere alternativlose Entscheidung, mit der dann doch “alle Macht der Kommission” begründet wurde… :(

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