“facing risk” – oder auch nicht.

Gegen Ende des zweiten Symposiumstages freute ich mich auf eine programmtechnische Abwechslung in der Form der Teilnehmerdebatte. Vier „Leaders of Tomorrow“ hielten rhetorisch schöne Anfangsstatements. Die These „in the long run, the west will prevail“ sollte verteidigt oder wiederlegt werden.  Dies ist zwar ein sehr polarisierendes Thema, leider sprachen aber alle Redner von unterschiedlichen Dingen. Nach den Anfangsstatements wurde nämlich die Debatte geöffnet, und Argumente aus dem Publikum wurden vorgetragen. Während sich manche Argumente auf wirtschaftliche Aspekte bezogen, sprachen andere von Werten, andere von politischen Ideologien. Andere sprachen über ganz andere Themen, oder darüber, wie man nicht über dieses Thema diskutieren könne. Die Schlussstatements waren dann rhetorisch wieder ein Höhepunkt, allerdings  war ich als Zuschauerin inhaltlich von keiner der Seiten überzeugt. So auch der Rest des Publikums, das per Handy mitvoten konnte, welcher Seite es recht geben würde – und prompt ein 50-50 Urteil ablieferte. Man hätte wahrscheinlich ein besseres Thema wählen können – vielleicht auch eines, das mit dem Symposiums-Thema „facing risk“ zu tun gehabt hätte.

Dieses Thema war zwar in der thematischen Gestaltung des Session-Programms stringent umgesetzt. Die daraus resultierenden Gespräche, Work Sessions, Panels und Ansprachen waren auch sehr interessant und relevant. Höhepunkte waren für mich die Keynote Address mit Peer Steinbrück und die Work Sessions, die ich besuchen durfte.

Leider war „facing risk“ zwar thematisch gut umgesetzt, aber in der Planung des Rednerprogramms hat dieses Motto gänzlich gefehlt. Zwar war der Executive Director von Greenpeace, Kumi Naidoo, vor Ort und gab im One-on-One-Interview auf der Hauptbühne sehr gute Antworten. Aber wäre es nicht viel spannender, und mit etwas mehr Konfliktpotenzial beladen gewesen, hätte man Naidoo in einer Debatte dem Präsidenten der IAEA, Yukiya Amano, oder dem CEO des Rohstoffriesen Glencore, Ivan Glasenberg, die beide auch anwesend waren, gegenübergestellt? Es schien fast so, als ob „facing risk“ zwar gerne diskutiert wird, aber im Ernstfall von der Organisation und einigen Teilnehmern doch lieber auf sichere Lösungen und konservative Werte gesetzt wird.  Die Frage an Naidoo aus dem Publikum, ob er denn nicht glaube, dass er in einem klassischen Anzug (anstelle des farbenfrohen Outfits, das auf der Bühne trug) ernster genommen würde, illustriert dies noch einmal. Auf das gestern schon angesprochene Fehlen von weiblichen Rednern werde ich an dieser Stelle nicht mehr eingehen – wohl spätestens nach der Hälfte des zweiten Tages war dieses so offensichtlich, dass die Redner und Gesprächsleiter bei den Publikumsfragen sogar extra nach weiblichen Fragestellerinnen suchten.

Abgesehen von dieser Kritik muss ich aber sagen, dass ich nach diesen zwei Tagen durchaus den Reiz des St. Gallen Symposium verstehe. Interessante Inputs, Gedanken und Ideen fliegen von allen Seiten auf einen zu. Die Teilnehmer, die ich kennenlernen durfte, waren allesamt sehr offen und sehr dankbar, anwesend sein zu dürfen. Ein spezielles Highlight waren für mich die Work Sessions – über die ich aufgrund des „off the record“-Gebots inhaltlich nicht genauer eingehen darf – , an denen die Teilnehmer und Redner völlig ohne Berührungsängste diskutierten und sich sehr authentisch und nahbar verhielten. Nie werde ich vergessen, wie sich zwei im Publikum einer Work Session sitzende, nahmhafte (ehemalige) Banker eine relativ angeheizte und ehrliche, offene Diskussion zum Thema Risikofrüherkennung in Unternehmen lieferten.

In diesen zwei Tagen habe ich sehr viel gelernt, und ich möchte den Organisatoren danken und gratulieren. Abgesehen von etwas mehr Risikobereitschaft und Abwechslung im Rednerprogramm liess die Organisation des diesjährigen Symposiums wenig Wünsche offen.

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MEHR DAZU


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