Die sieben Todsünden zu Besuch an der HSG

Die katholische Kirche hat sieben Charaktereigenschaften defi niert, die zu Sünde führen: Völlerei, Zorn, Trägheit, Hochmut, Habgier, Neid und Wollust. Wie zeigen sich die sieben Todsünden an der HSG? Ein nicht ganz ernst gemeintes Fallbeispiel.

Über 2’000 Jahre ist es her, dass Jesus für die Sünden der Christen starb. Sinnlos, ja vergebens, wäre sein Unterfangen gewesen, wenn wir nun nicht sündigen würden. Wir danken und fahren deshalb fort mit einem sündigen Pfuhl der Verdorbenheit. Wir sehen uns auf der anderen Seite!

Völlerei

Endlich hört der Dozent auf zu quasseln. Acht Stunden Universität heute – «Kommst du noch mit ins adhoc auf ein Bier?» Klar komme ich mit. Aber nur ein Bier! Es sind zwei Bier geworden, dafür aber nur kleine. Geht ja bei einem Pitcher auch nicht anders. Bevor ich mich verabschieden kann, steht der zweite Pitcher auf dem Tisch. Ach, Social Skills sind doch auch wichtig; ich bleibe. Als der dritte Pitcher kommt, das Bier immer noch frisch den Rachen hinunterperlt, und die Stimmung immer besser wird, kommt eine geniale Idee: «Wir gehen noch auf eine WG-Party von einem Kollegen! Ist derb, die haben drei Magnum- Flaschen Absolut.» Bin überzeugt. Wir landen auf der Party, die Anzahl der Magnum-Flaschen ist enorm; sie übersteigt sogar die Anzahl der anwesenden Frauen. Wir machen es uns mit Trichter und Schlauch auf der Couch bequem; der Alkohol drückt sich seinen Weg in unseren Magen. Wir fangen an zu singen, jeder lallt seinen eigenen Text. «Lass doch noch Feiern gehen!» Gesagt, getan. Schnell was für den Weg mixen und dann hinaus in die Nacht! Nachdem die erste Treppe mit Bravour und nur einigen kleinen Blessuren überstanden wurde, landeten wir schreiend und gröhlend in der Nacht: Die Welt gehört uns.

Alles war irgendwie zu. Wir landen im Studio 15. Erstmal drei Tequila-Shots für jeden. Mir wird langsam flau im Magen, das Rülpsen, gensauo wie die Bewegungen werden unkontrolliert, das Hochgefühl ist aber noch da … verdammt, der Abend wird legend… Ich exe den letzten Tequila und kotze dem Barmann auf die Theke. Als ich mich lautstark über den schlechten Tequila beschwere, kommt der Türsteher … Schwärze.

Zorn

«Waaas? Nur eine 5.5?» Was denkt sich dieser Bastard von Dozent eigentlich? Die Arbeit war top! Wie kann er es wagen, wie kann er es überhaupt in Betracht ziehen, mir etwas anderes, als die wohlverdiente 6 zu geben? Dabei habe ich doch alles getan, habe ihn zum Kaff ee eingeladen, seine eigenen Werke passend und lobend zitiert, ja sogar sein verdammtes Buch habe ich gelesen. Wie kann er nur? Judas!

Dem Drecksack werde ich es zeigen, der kann was erleben. Mein Anwalt hat schon andere kleingekriegt, der wird sein blaues Wunder erleben. Eine 5.5, das versaut mir noch meine Chance bei Goldman Sachs! Wobei, dafür ist der Anwalt schon fast zu mild. Das hat dieser arrogante Despot, der seine Allmachtsfantasien an uns armen Studenten auslebt, einfach nicht verdient. Nein, es wird Zeit, dass sich die Golfstunden endlich mal bezahlt machen. Einmal den guten Driver, in hohem Bogen … Jawohl! Der wird sich noch ärgern, dass er in seinem Buch seine Wohnadresse veröffentlicht hat …

Trägheit

Der Sommer kommt näher. Ganz langsam, tastend streckt er seine Fühler aus. Die Sonne kitzelt, alles blüht, die Gewässer liegen schon zur Abkühlung bereit. Man könnte – ich korrigiere – man sollte als hochmotivierter HSG-Student den bevorstehenden Sommer optimal nutzen: Praktika, Sprachaufenthalte, Sozialarbeit in Burundi, Vorbereitung für GMAT und Konsorten – das sind alles Dinge, die sich im Lebenslauf hervorragend machen. Man könnte aber auch nichts davon tun. So viele, ganz und gar nicht lebenslauftaugliche, aber umso angenehmere Dinge bieten sich für ein erfülltes Sommerprogramm an: Freunde treffen. Yoga machen. Mit der Freundin in den Urlaub fahren. Am Nachmittag aufstehen und dann dekadent frühstücken. Einen Serienmarathon zurücklegen . Beachvolleyball spielen. Hart an der Sommerbräune und an der Bikini- Figur arbeiten. Die «Shades of Grey»-Trilogie lesen (not!). Segeln gehen. Im Park liegen. Einen spontanen Road- Trip starten. Eis selbst machen. Und vieles mehr!

Und wenn der oder die Personalverantwortliche die Frage nach der Lücke im Sommer stellen sollte, könnte man immer noch behaupten, man habe sich in Meditation geübt, die Lehren des Buddhas studiert, über den Sinn des Lebens reflektiert, oder die Einwirkung der Sonnenstrahlen auf das Liebesleben der Pflastersteine untersucht. Niemand wird versuchen, eure spirituelle Reifung in Frage zu stellen. In diesem Sinne: Geniesst euren freien Sommer – er gehört euch, nicht dem Lebenslauf!

Hochmut

Ja, warum eigentlich nicht? Denkt darüber nach: Sind wir etwa nicht privilegiert? Sind wir etwa nicht die Besten, die Schönsten, die glücklichen «ein Prozent»? Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt, unser Lebensstandard sucht seinesgleichen: Im Quality-of-Life Index, den «The Economist» 2005 berechnet hat, lag die Schweiz an zweiter Stelle, überraschenderweise hinter Irland. Inzwischen dürfte es wohl Platz eins sein; Danke liebe irische Bankenkrise.

In diesem Land gehören wir zu jenem elitären Teil der Bevölkerung, der eine universitäre Ausbildung erhält. Wir studieren an einer der besten Wirtschaftshochschulen im deutschsprachigen Raum. Ach was, seien wir ehrlich; an der besten! Passenderweise liegt die Uni auf einem Berg, da lässt sich besser auf die Dinge herabschauen. Hier werden wir vorbereitet auf unsere Rolle als künftige Entscheidungsträger – CEO-Posten vorprogrammiert.

Natürlich sind wir bereit, hart zu arbeiten! Dafür verdienen wir auch eine gewisse Belohnung: In einigen Jahren haben wir ein Haus mit Garten, fahren mit dem Porsche Cayenne in den Winterurlaub nach Gstaad oder fliegen für die Strandferien nach St- Tropez . Wenn wir wollen , reisen wir schon jetzt an jeden beliebigen Ort der Erde; aufrichtig bedauern wir die dortigen armen Schweine, die zum Sterben zu viel, und zum Leben zu wenig haben. Vielleicht spenden wir dem Roten Kreuz, wenn wir wieder zu Hause sind. Vielleicht.

Ganz unbestreitbar sind wir jung, dynamisch und sexy. In Anzügen und Kleidern sehen wir einfach teuflisch gut aus. Wir sind nicht anders als die anderen, nur ein bisschen besser. Wer, wenn nicht wir, hat also das Recht, hochmütig zu sein? HSG – Hybris, sei gelobt.

Habgier

Wie viel? Achtzigtausend, Neunzigtausend, Hundertviertausenddreihundertzweiundfünfzig? Wie viel verdiene ich nach dem Studium? Wie viel?! Neunzigtausend pro Jahr? Das reicht doch nie! Wann erreiche ich dann die erste Million? In zwanzig Jahren? Vorher werde ich sicher Kinder haben, und Kinder fressen einem doch die Haare vom Kopf!

Hugo Boss-Anzüge gibt es ab 699 Franken. Wenn man im Online-Shop zwei bestellt, bekommt man noch Rabatt. Also, besser zwei bestellen, oder? Eine E-Klasse von Mercedes bekommt man regulär ab 55’200 Franken. Das bedeutet ein Jahr arbeiten, viel sparen, dann kaufen. Das geht. Noch besser: Ich könnte den Mercedes auch für 429 Franken pro Monat leasen. Dann habe ich ihn gleich. Und ich will ihn gleich!

Aber dann bräuchte ich unbedingt eine Garage bei meiner Wohnung. Ich bräuchte überhaupt noch eine Wohnung. Meine Eltern haben ein Haus. Will ich das Haus? Wenn ich es hätte, könnte ich es verkaufen, und dafür eine Wohnung in Toplage kaufen. Ich könnte mein Geld auch investieren, klar: intelligent diversifizieren, den Markt schlagen, Überrendite generieren. Wie viel Überrendite? Wie viel Geld stecke ich rein? Nochmals 100’000 Franken wären gut; vielleicht kriege ich da jährlich 10’000 raus. Wie viele Hugo Boss-Anzüge sind das? Wie viele?!

Neid

Sein Auto hat mehr PS. Sie hat die grösseren Brüste. Sie hat die passenderen Schuhe an. Er hat die grössere Uhr. Er ist sogar grösser. Sie hat die neuere Louis Vuitton-Tasche. Er hat das grössere Portfolio. Ihr Profilfoto hat mehr Facebook-Likes. Sein Auto braucht zwei Parkplätze. Sein Schreibtisch ist aus Mahagoni. Er hat keine Geheimratsecken. Sie hat bessere Noten. Er hat besserte Noten. Sie hat das Praktikum bei McKinsey ergattert, ohne mit dem Chef zu schlafen. Er hat das Praktikum bei McKinsey ergattert und mit der Chefin geschlafen. Bieger grüsst ihn. Er steht im Ele auf der Gästeliste. Sie steht im Ele auf dem Podest …

Wollust

Tief, ganz tief unter unserer Universität ruhen sie. So tief, dass die Hitze des Erdkerns zu ihnen vorstösst. In den Annalen der Universität ist von ihnen die Rede, auf den Gängen hinter vorgehaltenen Händen, tuschelnd. In Momenten der Verzweiflung, wo die Lernphase die Oberhand gewinnt, wo das Denken beherrscht wird, von Uniseminar und K-Karten, wo Führung und Nachfrage, Modelle und Varianzen sich die Hand schütteln, wie eine Flut gemeinsam den Verstand überschwemmen, wo sich die Hoffnung einem Ertrinkenden gleich der Hoffnungslosigkeit hingibt, da sind sie Licht … die tief, ganz tief unter unserer Universität ruhenden, schlafenden Musikräume!

Es ist 12.00 Uhr, mitten in der Lernphase. Sie schauen sich in die Augen; sie streicht sich durchs Haar, er grinst sie an. Mehr braucht es nicht. Sie stehen auf, unbeobachtet von den Massen, und entschwinden vier Stockwerke hinunter, in die Tiefen des Kellers. Zwei abstellzimmergrosse Musikzimmer erwarten sie. Sonst erklingen in ihnen Pianos und Violinen, Saxophonen und Flöten, doch manchmal, hin und wieder, erklingt in ihnen ein gestöhntes Sonnett, in schnellem Viervierteltakt der gemeinschaftlichen Zusammenkunft.


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