«Niemand wusste, wer Adam Smith ist…»

prisma sprach mit Vincent Kaufmann, Vorstand der Leitung Kontextstudium, über das Kontextstudium an der HSG, den Weg, den es in Zukunft gehen wird, und seine persönliche Bilanz nach zwölf Jahren.

Sie waren an der Einführung des Kontextstudiums an der HSG beteiligt. Gab es Vorbilder für das Programm?

Nein. Es gibt bis heute keine Business School in Europa oder den USA, wo es ein Kontextstudium in solchem Ausmass gibt. Es gibt natürlich Veranstaltungen an anderen Wirtschaftsuniversitäten im Bereich der Sozialwissenschaften oder Reflexionsfächer, aber in der jetzigen Form und Grösse hat St. Gallen das Kontextstudium sozusagen erfunden.

Heute wird immer wieder gefordert, dass die Wirtschaft «über den Tellerrand schauen müsse». Was waren die Argumente 2001, vor der Finanzkrise?

Grundsätzlich waren es die gleichen Argumente: Die Wichtigkeit in der Ökonomie von historischem Backgroundwissen, die Wichtigkeit von Verantwortung und Ethik, von kritischen Denken etc. Das Konzept war aber schwieriger zu rechtfertigen. Mittlerweile hat sich der Widerstand gegen das Kontextstudium HSG-intern aber deutlich abgeschwächt.

Welcher Widerstand?

Es ist kein prinzipieller oder inhaltlicher Widerstand. Jedermann findet die Idee eines Kontextstudiums okay. Es ist vielmehr eine Allokationsfrage von Slots, von Credits, von Spielraum. Es gab zum Beispiel Programme, die davon ausgegangen sind, die Zeitressourcen des Kontextstudiums besser für sich selber nutzen zu können.

Wie wird das Kontextstudium Ihrer Meinung nach von den Studenten aufgenommen?

Unterschiedlich, die Reaktionen sind zum Teil auch widersprüchlich. Bei Umfragen geben relativ viele Studenten an, dass sie nicht ins Kontextstudium mögen. Diese Tendenz widerspiegelt sich aber überhaupt nicht in der Evaluation der einzelnen Kurse. Unser Ziel ist nun, das «lieber nicht, es ist aber schon interessant» in ein «lieber doch» umzuwandeln.

Wie kann dieses Ziel erreicht werden?

Wir basteln an neuen Strukturen und Formaten. Auf Bachelorstufe werden wir jetzt grosse, interdisziplinäre Lehrveranstaltungen zum Beispiel zum Thema Medien oder zum Thema «Kultur und Governance in Europa» anbieten. Ein Problem ist aber auch, dass die Universität, obwohl sie das Kontextstudium sehr unterstützt, ein wenig schizophren ist. Wir haben Kernfächer, wo weitgehend auswendig gelernt wird. Alle müssen da durch und genug machen kann man nie. In den Multiple Choice-Examen wird nahezu niemals die Maximalpunktzahl erreicht. Mehr lernen ist immer möglich. Darauf richten sich die Studenten ein – sie arbeiten sich in eine Auswendiglernkultur ein. Schizophren wird es, wenn man dann Donnerstag von 10 bis 12 Uhr zu Reflexion wechseln muss. Das ist eigentlich eine absurde Übung.

Vincent Kaufmann

Vincent Kaufmann ist Professor an der School of Humanities and Social Sciences (SHSS) sowie am Medien- und Kommunikationsmanagement (MCM) Institut beschäftigt. Er betreut die Zusatzqualifikationen «Buch- und Medienwirtschaft» sowie «Wirtschaftsjournalismus» und ist seit der Einführung des Kontextstudiums 2001 Vorstand der Leitung Kontextstudium auf Bachelor- und Masterebene.

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