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  1. Jodelcheck: Was sagen Brunner und Darbellay zu euren Jodels?

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    Kurz nach der Elefantenrunde gestern Dienstagabend, haben Toni Brunner und Christophe Darbellay für prisma einige Jodel kommentiert, die während der Veranstaltung besondere Beachtung unter den Jodlern gefunden haben.

    Toni Brunner beim Jodelcheck Foto: Jonas Streule)
    Toni Brunner beim Jodelcheck Foto: Jonas Streule)

    Dabei ist übrigens auch der Toni-Jodel (vergl. Bild) entstanden, der bereits über 400 Upvotes bekommen hat. An dieser Stelle ein Dankeschön für’s Karma meinerseits.

    Nun aber zu den Meinungen der beiden Politiker:

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    Christophe Darbellay: “Die HSG ist nachwievor bildungspolitisch ein Leuchtturm der Schweiz.”

    Toni Brunner: “Man hat sicher hohe Erwartungen an die Absolventen der HSG. Für mich ist die HSG tatsächlich ein Traktor, der den Karren zieht.”

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    Christophe Darbellay: “Naja, auch die SP hat potente Geldgeber. Und auch Christian Levrat hat mir den Namen der Dame, die ihm jedes Jahr 20’000 Franken spendet immer noch nicht gesagt.”

    Toni Brunner: “Parteien sind selber verantwortlich, wo und wie sie ihr Geld generieren.”

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    Christophe Darbellay: “Toni Brunner hat im ersten Teil der Diskussion zur Flüchtlingskrise sicher polarisiert. Er lehnt sich mit seinen Aussagen jeweils auch sehr weit hinaus.”

    Toni Brunner: “Herr Darbellay, der die Fotos gemacht hat, war heute halt schon an der Olma.”

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    Christophe Darbellay: “Jaja, das hat wohl so ein von ihm bezahlter Hooligan geschrieben…”

    Toni Brunner:
    Diesen Jodel haben wir Toni Brunner aus Versehen nicht gezeigt.

     
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    Christophe Darbellay: “Die Aussage ist richtig, hat nur einen Fehler: Es müsste CVP stehen.”

    Toni Brunner: “Naja, es gibt in der SP-Fraktion mehr Millionäre als in der SVP-Fraktion.”

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    Christophe Darbellay (lacht): “Wir arbeiten sehr viel zusammen. Das stimmt. Auch wenn wir bei den Bundesratswahlen wieder zusammenarbeiten würden, wäre das nicht neu.”

    Toni Brunner: “Die CVP legt sich mit der BDP ins Bett und scheut sich nicht einmal davor, noch den Hund mit dazu zu nehmen.”

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    Christophe Darbellay: “Es ist sehr positiv zu sehen, dass sich so viele Junge für die Politik interessieren. Seit der Rettung der UBS/Swissair haben auch die HSG-Absolventen gemerkt, dass man anständige Rahmenbedingungen durch die Politik braucht.

    Toni Brunner: “Absolut, diese Schlange wollte offenbar unbedingt SVP hören” (lacht).

  2. Warum Sezession ein Menschenrecht sein sollte – Ein Kommentar

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    So viel steht fest: Die Grenzen Europas sind noch nicht gezogen. Die Sezessionsbestrebungen Kataloniens und Schottlands führen dies deutlich vor Augen, aber auch in kleineren Regionen blühen ähnliche Ideen auf. Doch wer glaubt, der Gang in die Freiheit sei ein leichter, täuscht sich. Eiserner Wind weht den Freiheitskindern entgegen, obwohl doch klar sein sollte: Sezession ist ein Menschenrecht.

    Die etablierten Kräfte der politischen Zentralisierung lassen sich kaum zähmen, sie wirken stark. Dies lässt sich zurzeit beobachten in Spanien, wo die Sezessionsabsichten an der Hartleibigkeit wie dem Chauvinismus der Zentralregierung zerschellen. Entzweiend, intolerant, völlig auf sich selbst bezogen – dies wird den Initianten von etatistischer Seite vorgeworfen. Die politische Atmosphäre ist also extrem angespannt.

    Auch in der Alpenrepublik Schweiz sind ähnliche Tendenzen spürbar, wenngleich sie sich noch im Zellstatus befinden. Im Streit um die Gelder des nationalen Finanzausgleichs drohen die wenigen Zahlungsgeber mit Boykott. Doch sie werden auf nationaler Stufe nicht nur überhört, sondern auch im Stich gelassen. Und wie reagieren die Staatsloyalen hier? In gleicher Manier. Wiederum wird die Solidarität angerufen und die Abspaltungs-Fürsprecher werden als Hinterwäldler dargestellt.

    Das ist natürlich blanker Unsinn. Es gibt keinen Zwang zur Freiheit innerhalb eines Institutionengeflechts. Das Selbstbestimmungsrecht wiegt höher. Der Einzelne selbst entscheidet, wo und wie er lebt, arbeitet, konsumiert oder investiert, und nicht das Kollektiv. Der Wunsch nach möglichst vollständiger Souveränität ist dabei keineswegs nur als Akt des Widerstands gegen den Hegemonialanspruch einer immer stärker um sich greifenden Zentralregierung zu verstehen. Die Gründe liegen tiefer. Es geht um die Anerkennung von und das Recht auf Andersartigkeit. Vielheit ist das Ziel, nicht deren Auflösung. Es geht um die Begrenzung von Macht durch Teilung derselben. Die Maximen lauten: „Dezentral vor zentral“, „Mannigfaltigkeit statt Einfältigkeit“ und – an erster Stelle stehend – „Privat vor Staat“. Die zentralen Elemente der Staatskunst orten sich mithin in der Subsidiarität, die wiederum in einer starken Gemeindeautonomie wurzelt. Taktgeber ist das Individuum. Und um den Pudels Kern zu treffen: Ein Staat ist im Grunde genommen ein abstrakter Gesellschaftsvertrag. Wer mit den Bestimmungen oder deren Anwendung nicht zufrieden ist, sollte das Recht haben, sich auszuklinken. Das Kollektiv darf sich nämlich gegenüber der kleinsten Einheit in einem Staatswesen, dem Individuum, nicht alles erlauben. Das ist ein Gebot der Aufklärung. Der Minderheitsschutz geht vor. Das Sezessionsrecht ist – konsequent aufklärerisch – einem Staatswesen inhärent. Es garantiert, dass das Selbstbestimmungsrecht in seiner konzeptionellen Uridee wahrgenommen wird. Weiter liefert es nützliche Rückmeldungen an die obersten Etagen, zwingt die politischen Akteure zu Überzeugungsarbeit und vor allem ermöglicht es dank den breiten Mitentscheidungsrechten jene Zustände, die wir verdienen. Im Guten wie im Schlechten.

    Das Sezessionsrecht, welches das Selbstbestimmungsrecht und die Freiheit in sich trägt, steht natürlich dem Primat der Politik diametral entgegen. Das ist gut so. Denn die Freiheit hat nur Zukunft – so lange wenigstens der souveräne Bürger nicht nur ein Ideal ist, sondern seine Rechte durchsetzt und nicht der „classe bureaucratique“ erliegt.

  3. Selbstinszenierung der etwas anderen Art

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    Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hat ihren eigenen Song. „Welcome to SVP“ heisst das ungewohnte Wahlkampf-Lied und schafft es die Gemüter zu spalten.

    Eine idyllische Landschaft, sanfte Klaviermusik und Vogelgezwitscher, so beginnt das neue offizielle Video der SVP. Inszeniert wurde das Ganze von Nationalrat Thomas Matter alias DJ Tommy. Das Bild zeigt die Villa in Herrliberg von niemand geringerem als dem inoffiziellen Oberhaupt des Parteiclans Christoph Blocher. Man könnte die Szenerie zunächst als Beginn einer verfilmten Biografie abtun. Falls man sich davon nicht abschrecken lässt und sich dazu durchringt weiterzuschauen, dann wird es sich lohnen. Die SVP weiss immer wieder mit ihren diversen Aktionen zu überraschen, aber den weiteren Verlauf des Videos hätte niemand vorhersehen können. Gemächlich schneidet Alt-Bundesrat Blocher mit einer Nagelschere seinen Rasen. Das ist zweifelsohne das richtige Werkzeug, um Gartenpflege zu betreiben. Er schreitet zum imposanten, hauseigenen Pool und dreht ein altes Radio auf. Daraufhin ertönen ganz und gar unerwartete poppige Klänge, die man so gar nicht mit der Person Blocher in Verbindung bringen würde. Mit einem anmutigen Kopfsprung befördert er sich ins kühle Nass. Im Rest des Videos werden weitere Polit-Stars der Führungsriege der SVP gezeigt, die sich in ungewohnt selbstironischer Weise präsentieren.

     Ein angeschlagenes Image wird aufpoliert

    Das Video geht weiter und die Kamera zeigt zweimal die Weltwoche. Dies sollte bereits ein Hinweis darauf sein, wer sich als nächstes die Ehre gibt und im Film erscheint. Es ist Roger Köppel, Chefredaktor der Weltwoche, mit heruntergelassener Hose. Wortwörtlich, denn er befindet sich auf einer öffentlichen Toilette, bei der die einzelnen Kabinen anscheinend keine Türen mehr besitzen. Das muss unangenehm gewesen sein sich in solch einer Pose filmen zu lassen, fast so unangenehm, wie die Rüge des Presserats bezüglich des Artikels in der Weltwoche mit dem Titel: „Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz“. „Die Kombination von Text und Bild diskriminiere die Roma und entstelle Informationen“, so die Argumentation des Presserats 2012. Als nächstes sieht man Natalie Rickli, welche mit einer Schüssel voll Chips gebannt Roger Schawinski und Roger de Weck auf SRF bei einer Debatte zuschaut. Auch Christoph Mörgeli hat einen Auftritt und staubt ein Schulskelett ab. Nach dem Facebook Post des Zürcher-SVP-Nationalrats Ende August, welches ein Bild von Flüchtlingen mit dem Kommentar „Die Fachkräfte kommen“ zeigte, überrascht es nicht, dass alle Möglichkeiten, das eigene Image aufzupolieren, ausgeschöpft werden. Auf einem Militärvelo sieht man ausserdem den aktuellen Chef des VBS und Bundesrat Ueli Maurer, der anstatt einer Klingel einen Gripen an den Lenker geschraubt hat.

     Die SVP-Agenten

    Der Refrain gestaltet sich ebenfalls etwas befremdlich, wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um eine Regierungspartei handelt. Junge Damen tanzen zu den Elektro-Beats, während die Politiker mit Sonnenbrillen und verschränkten Armen alla „Secret Service“ dastehen und keinen Muskel bewegen. Toni Brunner, Parteipräsident, macht ein Picknick mit seiner Kuh. Dazu lässt sich nicht viel mehr sagen. Auch an Action sollte es anscheinend nicht fehlen und so springt Adrian Amstutz mit einem Fallschirm aus dem Flugzeug und landet gekonnt im Freibad. Thomas Aeschi leert in einem Zug einen Zuger Kirsch runter, der mit K.o.-Tropfen versetzt ist, und verliert daraufhin das Bewusstsein. Dies soll wohl eine Anspielung auf den Sex-Skandal in seiner Kantonalsektion sein, in welchen Markus Hürlimann verwickelt war.

     Mutig aber inhaltslos

    Humorvoll oder nicht. Innovativ oder unangebracht. Darüber lässt sich streiten. Geschmäcker scheiden sich bekanntlich. Zumindest hat das Video auf Youtube bereits über 150’000 Aufrufe und 1’371 positive Bewertungen versus 1’868 negative (Stand 13.09). Das verfolgte Ziel der SVP, nämlich Aufmerksamkeit, Provokation und Polarisierung hat sie mit diesem Video und viel Selbstironie auf jeden Fall erreicht. Silvia Bär, stellvertretende Generalsekretärin der SVP schildert auf Anfrage des prisma die Entstehung des Videos folgendermassen:

    „Thomas Matter hat an einem schönen Sommerabend im Juni zum privaten Grillfest bei sich zu Hause geladen. Als grosser Musikliebhaber spielte er ein paar seiner Lieblingssongs auf seiner Musikanlage. Toni Brunner macht sich ein Spass daraus und fordert Thomas Matter auf, für die SVP einen Song als „DJ Tommy“ zu machen. Dieser willigt ein – daraus resultiert nun Welcome To SVP.“

    Sie fährt fort, dass man eigentlich nur nach Klischees gesucht habe und sich selbst ein bisschen „habe hoch nehmen“ wollen. Gleichzeitig sei aber natürlich der Inhalt des Songs (Text) sehr wichtig und beinhalte eine klare Botschaft. Die Frage, wieso man aber gerade die SVP an den Nationalratswahlen vom 18.10.2015 wählen sollte, kann das Wahlkampf-Video jedoch nicht beantworten. Bei aktuellen Thematiken, wie der Flüchtlingspolitik, der aktuellen Wirtschaftslage und der Aufhebung des Euro-Franken Mindestwechselkurses, scheint ein inhaltsleerer Spot zumindest ziemlich gewagt zu sein.

  4. Die Qual der Wahlplakate

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    Wahlplakate sind wie periodische Zikaden, welche keine Primzahlen kennen: Alle 4 Jahre kriechen sie in gigantischen Zahlen aus der Erde und besetzen für einige Wochen beinahe die gesamte Oberfläche. Freude herrscht, denn im Herbst 2015 wird es wieder so weit sein!

    Es ist schwierig an verlässliche Zahlen zu kommen, doch ich würde einmal darauf spekulieren, dass die Schweiz aufgrund der vierteljährlichen Abstimmungen die höchste durchschnittliche Dichte an politischen Plakaten pro Einwohner pro Jahr der Welt hat. Umso erstaunlicher ist es jedoch, dass unsere Wahlplakate immer noch ähnlich funktionieren wie jene in Diktaturen: Drücke dem Volk dein Gesicht solange ins Gesicht bis es dich wählt! Gut, der Fairness halber muss man erwähnen, dass man in der Schweiz aus einer grossen Anzahl Gesichtern auswählen kann, welche erst noch aus verschiedenen Teams stammen und dazu sogar meist lächeln. Schweizer Wahlplakate stehen also auf gleicher Stufe mit den Fussballerbildchen in Panini-Alben, wobei, nicht ganz, denn die Sponsoren stehen bei Fussballteams ja transparent auf der Kleidung…

    Ich stelle mir ein Gespräch zwischen dem Parteistrategen S und dem PR-Experten X ungefähr so vor:

    S: So, der Wahlkampf steht wieder einmal vor der Türe und zum Glück haben wir ein prall gefülltes „Parteikässeli“. Wie sollen wir unsere Millionen dieses Mal investieren?
    X: Ich habe da einen guten Vorschlag: Dieses Jahr solltet ihr all eures Geld in Plakate investieren.
    S: Plakate? Gab es das nicht schon bei den Römern?
    X: Nein, nein, Bildplakate in heutiger Form entstanden erst anfangs des 20. Jahrhunderts. Das ist eine moderne Technologie.
    S: Aha, aber haben wir nicht schon vor vier Jahren alles Geld in Plakate investiert? Wollen wir nicht einmal etwas Neumodisches ausprobieren? Ich habe von einem Kollegen gehört in diesem Neuland, welches Frau Merkel entdeckt hat, gäbe es viele neue Möglichkeiten.
    X: Nein, also wir wollen Herr und Frau Schweizer doch nicht überfordern und überhaupt wie sollen wir dem patriotischen Bürger erklären, dass wir Wahlkampf in Neuland statt in der Schweiz betreiben?
    S: Ok, Wahlkampfplakate also. Hast du schon Ideen bezüglich dem Design?
    X: Ja, ich glaube dieses Jahr liegen Gesichtsfotos mit einem leichten Lächeln im Corporate Design und mit einem kurzen Parteislogan im Trend.
    S: In Ordnung, aber wie erklären wir den Bürgern warum sie uns wählen sollen?
    X: Der Bürger ist mit mehreren Meinungen zu mehreren Themen überfordert. Wir haben ein einziges Wahlkampfthema und unsere Haltung dazu sollte im Slogan enthalten sein.
    S: Ok, doch wie erklären wir in diesem Fall warum der Bürger eine spezifische Person wählen soll?
    X: Durch ein vertrauensvolles Lächeln natürlich. Aber ja keine Inhalte! Individuelle Wahlplakate schaden unserer Corporate Identity. Verstanden?
    S: Ja.
    X: Also worauf warten wir noch?

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     Wahlkampf 2.0

    So, Spass beseite jetzt. Das Ganze ist natürlich etwas differenzierter zu betrachten. Alle Schweizer Parteien versuchen neue Medien auf die eine oder andere Weise für sich zu benutzen. Viele der Kandidierenden haben sich, wenn auch etwas widerwillig, dazu überwunden Facebook, Twitter oder sogar Instagramm-Accounts zu eröffnen. Die Resultate sind bisher zwar noch mässig, aber der Wille respektive der Willy scheint vorhanden. Eine Onlinegemeinschaft aufzubauen braucht aber auch viel Zeit und Energie. Vielen Kandidierenden scheint noch ein bisschen der „Grit“ zu fehlen, um mit hoher Regelmässigkeit etwas auf Facebook oder Twitter zu posten. Generell gilt der Eindruck: Wahlen gewinnt man (noch) nicht auf Sozialen Medien, mit einem „Shitstorm“ kann man sie aber dort verlieren.

    Ich persönlich würde allen Kandidierenden, welche auf einen erfolgreichen Online-Wahlkampf setzen, jedenfalls dazu raten, eine eingehende Case Study der jeweiligen „Kandidaten des Internets“ in den amerikanischen Präsidentschaftswahlen, Ron Paul 2012 und Bernie Sanders 2016, zu machen. Natürlich funktionieren amerikanische Wahlen völlig anders als Schweizer Wahlen, doch mindestens zwei wichtige Rückschlüsse lassen sich daraus für alle ziehen:

    • Authentizität ist enorm wichtig. Paul und Sanders sind in wichtigen inhaltlichen Fragen diametral entgegengesetzt. Was grosse Teile des Internets hinter sie gebracht hat sind ihre klare Vision und ihre Glaubwürdigkeit.
    • Der Schlüssel zum Onlineerfolg ist nur bedingt die eigene Aktivität, sondern vor allem eine aktive Unterstützercommunity, welche Inhalte teilt und weiterverbreitet. Mit dem eigenen Social Media-Account erreiche ich auf direktem Wege vielleicht ein paar hundert, wenn es hochkommt ein paar Tausend Personen. Je grösser der Teil meiner Fans/Freunde/Follower/Whatever wird, welche meine Inhalte teilen, desto grösser mein „Reach“. Die Hebelwirkung ist enorm.

    Gerade der zweite Punkt scheinen Schweizer Politiker in meinen Augen noch viel zu wenig verstanden zu haben. Einen Wahlkampf führt man nicht alleine. Ein überzeugter Anhänger ist viel mehr Wert als nur seine Stimme. Wahlkampforganisatoren haben es aber bisher (genau wie Universitäten) leider noch nicht geschafft die menschliche Biologie, insbesondere der Aufbau unseres Motivations- und Belohnungssystem, zu ihren Zwecken zu nutzen. Ein weit entfernter einmaliger „Payoff“ durch die Wahlresultate nützt genau so wenig wie Semesterprüfungen. Ein „gamifizierter“ Wahlkampf in welchem Unterstützer für gewisse Tätigkeiten gewisse Anzahl Punkte erhalten, welche wiederum zu Status innerhalb der Gruppe und zu symbolischen Preisen wie persönlich unterschriebene weiss-ich-nicht-was des Politikers führen, würde das Belohnungszentrum eines Anhängers zum Beispiel regelmässig stimulieren und sollte dementsprechend ein stärkeres Engagement fördern.

    Wahlwerbung 2.0

    Sein Geld wir man alleine durch das Ausnützen des Unterstützungspotentials allerdings in der Regel nicht los, dafür braucht es schon Werbung. Das wunderschöne an Onlinewerbung sind nicht nur die tiefen Einstiegskosten sondern vor allem die individuelle Anpassungsmöglichkeit. Ein physisches Plakat kann ich leider nur bedingt auf seine Betrachter anpassen, online funktioniert das ganz anders. Dank Grosskonzernen wie Facebook komme ich selbst ohne grösseren Aufwand zu ganz entscheidenden Daten und kann meine Botschaft auf den Empfänger anpassen.

    Von jemandem der zur politischen Gegnerschaft zu zählen ist, sind die Finger zu lassen. Das ist nicht nur verlorenes Geld, sondern dürfte das Engagement dieser Person für die Gegenseite erhöhen. Jemand der politisch auf meiner Linie ist, muss ich in erster Linie zu mehr Engagement bringen. Innerhalb dieser Kategorie sollte z.B. junger Student, auf ehrenamtliche Wahlkampfunterstützungsmöglichkeiten für die Kampagne hingewiesen werden, während eine eher zeitarme, dafür liquide Person nach Wahlkampfspenden gefragt werden sollte. Bei den Unentschlossenen, vielleicht leicht Sympathisierenden, gilt es die Stimme zu gewinnen. Wobei die Botschaft am besten auf ein Themengebiet zielt, in welcher der Empfänger mit der Partei / Person übereinstimmt. Oder man setzt auf gemeinsame Gruppenmitgliedschaft: Du Christ, ich Christ. Du Secondo, ich Secondo. Du Fussball, ich Fussball. Du Dorf X, ich Dorf X etc. Dies ist zwar eine ziemlich primitive Art des Wahlkampfs, aber leider oft auch eine erfolgreiche.

    Wahlplakat 2.0

    Nun ist aber auch klar, dass dem Online-Wahlkampf noch gewisse Grenzen gesetzt sind. Nicht zuletzt, weil wir noch nicht ganz im Post-Privacy-Zeitalter angekommen sind und daher die exzessive Verwendung von Big Data zu einem Backlash führen und Ängste vor politischer Manipulation à la Freeme oder Google nähren könnte.

    Man muss das gute alte Wahlplakat also noch nicht zwingend ganz in die Rente schicken. Doch man sollte zumindest seine gesamten Möglichkeiten nutzen. Einer oder mehrere QR-Codes auf dem Plakat lassen die physische und die digitale Welt verschmelzen und eröffnen völlig neue Möglichkeiten zur Interaktion. Darüber hinaus habe ich endlich die Chance interessierten Personen Inhalte zu präsentieren. Ein positives Beispiel ist hierbei etwa CVP-Kandidat Beda Sartory. Dieser hat seine Kampagne mit Plakaten ohne Bild dafür mit der Aufschrift „Wer ist Beda?“ und einem QR-Code gestartet und hat dann etwas später seine „richtigen“ Wahlplakate darüber hängen lassen.

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    Das schöne an einem solchen Ansatz ist, dass der oder die präsentierten persönlichen oder parteilichen Standpunkte zu Themen ohne eine Gegenargumentation sehr schnell relativ überzeugend erscheinen. Darüber hinaus erlauben einem dynamische QR-Codes auch die Erfassung von Daten über die Benutzer, welche man weiterverwenden kann und welche die Nutzenkontrolle der Plakate vereinfachen. Man kann QR-Codes aber auch noch origineller einsetzen, zum Beispiel zum abstimmen. Ich erinnere mich etwa noch daran, dass SVP-Kandidat Hansjörg Knecht 2011, in Inseraten aufforderte sein bestes Wahlkampfplakat zu wählen und einen Preis zu gewinnen. Das sind Interaktion, Daten und ein besseres Plakat in einem. Derselbe Hansjörg Knecht, welcher 2011 mit Glanzresultat gewählt wurde, macht auch 2015 bei seiner Ständeratskandidatur einen Wahlkampf von dem andere lernen sollten. So hat er z.B. Inserate mit „Ihre Meinung zählt“ in die Leserbriefspalte der Zeitung geschalten und bereits am Dreikönigstag diesen originellen Brief mit einem Info-Flyer verschickt:

    hansjoergknecht

    Egal welche Inhalte man nun verkauft. Wer mit Imagination und Engagement dabei ist, ist im Vorteil. Nur weil irgendein PR-Profi herausgefunden hat, dass stur aufgesetzte Lächeln ohne Inhalte beim Wahlvieh am besten ankommt, ist die erfolgreichste Strategie immer noch von der Strategiewahl der anderen abhängig. Meine Augen bedanken sich auf jeden Fall schon jetzt bei allen Kandidierenden mit mehr als einem langweiligen Gesichtsausdruck!

    So, jetzt sind wir eigentlich am Ende des Artikels, doch, liebe Parteien, weil ihr mich schon mit so vielen nichtssagenden Portraitfotos zugespammt habt und weil ich euch jetzt sogar noch Gratis-Wahlkampftipps dazugegeben habe, finde ich, dass ihr ein wenig in meiner Schuld steht. Damit wir wieder quitt sind und auch als kleine Belohnung für diejenigen, die diesen Artikel bis zum Ende lesen, habe ich mir die Freiheit genommen, selbst ein paar Wahlplakate für euch zu designen. Ich weiss nicht, ob ihr meine Plakate verwenden wollt, denn ich habe eure Botschaft in der Regel leicht zugespitzt. Es muss aber keiner beleidigt sein, ich habe mir grosse Mühe gegeben meine Photoshop-Künste gleichmässig auf alle grossen Parteien zu verteilen ;-)

  5. Weisst du schon, wen du wählen wirst?

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    Die Parteien werden langsam nervös: Am 18. Oktober 2015 wählen wir ein neues Eidgenössisches Parlament. Die Wahlempfehlungen von Vimentis sollen uns bei der Meinungsbildung helfen.

    Im Dschungel der nichtssagenden Wahlslogans ist es gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten. Und wenn Politiker aller Couleur wieder von Plakaten und aus Zeitungen lächeln, wird es schwierig, die tatsächlichen Botschaften zu unterscheiden, für welche die Kandidaten stehen. Damit Stimmbürgerinnen und Stimmbürger daraus nicht den Schluss ziehen, gar nicht erst zur Wahl zu gehen, hat Vimentis, der Verein für politisch neutrale Information, das «Wahlen»-Tool entwickelt.

     35 Fragen – eine Wahlempfehlung

    Der Nutzer beantwortet auf www.vimentis.ch/wahlen 35 Fragen und erhält eine Liste mit Kandidaten, die die Fragen ähnlich ausgefüllt haben. Das sind relativ wenige, um ein umfassendes politisches Profil von der Aussenpolitik über die Nationalhymne bis zum Sozialstaat erstellen zu können – zumindest wenn man differenziert sein will. «Die Erstellung des Fragebogens ist ein Mix aus Wissenschaft und Kunst», sagt denn auch Daniel Geissmann, Vorstandsmitglied vom Vimentis und Coach für das «Wahlen»-Tool. Hatte man zu Beginn noch wissenschaftliche Unterstützung, habe man diese Expertise in der Zwischenzeit selbst aufgebaut.

    Das Tool unterbreitet Wahlempfehlungen und stellt die politischen Präferenzen in einem «MySpider» dar – ähnlich wie ältere Angebote wie Smartvote das tun. Wo liegt also der Vorteil?

    Konkurrenz zu Smartvote

    Daniel Geissmann meint dazu: «Die Nutzer können beispielsweise Fragen gewichten oder eine Killer-Frage auswählen, welche die Kandidaten gleich beantwortet haben müssen.» Gemäss Geissmann zeigt sich zudem in den Reaktionen der Kandidaten und Parteien, dass eine Konkurrenz zu Smartvote sehr willkommen sei. Der Wähler kann sich so mehreren unabhängigen, nicht gewinnorientierten Online-Wahlhilfen bedienen.

    Mehrere tausend Personen haben die Umfrage im Hinblick auf die Luzerner und Zürcher Kantonsratswahlen ausgefüllt. Um für die Nationalratswahlen eine kritische Grösse zu erreichen, arbeitet das Team mit News-Portalen wie 20min.ch oder Blick zusammen. Vimentis hat über 100’000 Besucher pro Monat, bei den letzten Eidgenössischen Wahlen fast doppelt so viele.

    Neutral informieren

    Vimentis ist aber viel mehr als nur dieses Tool. Über 60 ehrenamtliche Studenten und Alumni betreiben eine Plattformen mit dem Ziel, die Wähler umfänglich zu informieren. Es gibt zugängliche Erklärungen dazu, wie ein Wahlsystem funktioniert; aktuelle und werdende Politiker können zudem Blog-Beiträge verfassen, wodurch, anders als oft in sozialen Netzwerken, eine vergleichsweise niederschwellige Diskussion über die Grenzen des jeweiligen Milieus hinaus entsteht.

    Hast du Lust, dich über die Sommerferien mit der nationalen Politik auseinanderzusetzen, möchtest dich aber nicht in einer politischen Partei für die nationalen Wahlen einsetzen? Unter www.vimentis.ch/d/ueberuns/mitarbeit.html findest du Möglichkeiten, wie du mithelfen kannst. Auch über die Wahlen hinaus hat Vimentis viel vor, beispielsweise möchte der Verein auch in der Romandie Fuss fassen und es ist ein interaktives Lehrmittel für den Staatskunde-Unterricht geplant.

  6. “Die CVP-Initiative ist die Antithese einer zielgerichteten Familienpolitik” – Ein Kommentar

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    Der rührige Arbeiterpriester Adolph Kolping soll es bereits vor knapp 200 Jahren gewusst haben: „Das erste, das der Mensch im Leben vorfindet, das letzte, wonach er die Hand ausstreckt, das kostbarste, was er im Leben besitzt, ist die Familie.“ Die feinfühligen Worte zielen fürwahr direkt ins Herz. Wer kann vor diesem Hintergrund schon gegen Familien sein? Niemand.

    Die CVP weiss natürlich um dieses gefühlrserregende Faktum. Mit dem Slogan „Familien stärken!“ will sie nun die Herzen der Bürgerinnen und Bürger gewinnen und ihrer Volksinitiative damit zum Sieg verhelfen. Die eidgenössische Vorlage fordert zusätzliche Vergünstigungen für Familien mit Kindern. Dies soll via Steuerbefreiung der Kinder- und Ausbildungszulagen geschehen.

    Zweifellos: Kinder- und Ausbildungszulagen sind von grosser Wichtigkeit. Familien mit Kindern –Zitadellen der Zukunft und des menschlichen Fortschritts – sollen unterstützt und entlastet werden. Die wirklich entscheidende Frage ist nur: Wie? Ist die vorliegende Volksinitiative das probate Mittel? Nein, sie ist es aus vier Gründen nicht:

    1. Sie macht Geschenke, wo sie nicht nötig sind.
    2. Sie hinterlässt ein Milliarden-Loch in den Staatskassen.
    3. Sie durchlöchert unser bewährtes Steuersystem.
    4. Sie ignoriert, dass Bund und Kantone bereits viele Instrumente, Mittel und Möglichkeiten kennen, um Familien mit Kindern zu entlasten.

    Ich möchte im Folgenden auf die meines Erachtens wichtigsten Punkte 1 und 2 eingehen.

    Unnötige Steuergeschenke

    Im Schweizerland besonders frohlocken würden bei einer Annahme der Familieninitiative die begüterten Familien: Aufgrund des Giesskanneneffektes – was bedeutet, dass jeder im Lande die Zulagen vom steuerbaren Einkommen abziehen dürfte, ob arm oder reich – könnten sie in Zukunft progressionsbedingt einen noch stärkeren Steuerabzug geltend machen. Dieser Effekt würde insofern akzentuiert, als die Zulagen in den Kantonen massiv unterschiedlich hoch sind. Hingegen gingen Familien mit mittleren und vor allem mit kleinen Einkommen, die mithin wirklich auf Entlastung angewiesen wären, im Vergleich praktisch leer aus. Denn sie unterliegen in den Kantonen sowieso bereits tiefen Grenzsteuersätzen oder gehören schon jetzt zu den 430’000 Haushalten in der Schweiz, die keine direkten Bundessteuern mehr bezahlen.

    Sollen Fördermassnahmen ergriffen werden, ist es immer extrem wichtig, dass sie auch die richtige und intendierte Wirkung entfalten können – besonders in Fällen, wo mit Milliarden-Beträgen operiert wird. Das ist hier eindeutig nicht so.

    In der Schweiz gibt es leider noch immer zu viele Familien, die finanziell am Anschlag sind, die sich tagtäglich abstrampeln und dennoch wirtschaftlich nicht auf einen grünen Zweig kommen, die an der Armutsgrenze leben und es trotz grosser Anstrengungen nicht vermeiden können, dass ihre Kinder darunter leiden. Sie haben alle etwas gemeinsam: Sie würden von dieser Initiative nicht profitieren und im Regen stehen gelassen. Die CVP-Initiative ist in meinen Augen deshalb die Antithese einer zielgerichteten Familienpolitik! Würde der Staat wirklich den viel beweinten, sich auf dem absteigenden Ast befindeten Mittelstand helfen wollen, so müsste er auf ein wirklich liberales Bündel an Massnahmen zurückgreifen: In einem ersten Schritt gälte es die ohnehin gezielteste und nachhaltigste Unterstützung einzuleiten, nämlich einmal dafür zu sorgen, dass die Steuern flächendeckend gesenkt und die unnötigen Abgaben, Gebühren sowie Zwangsversicherungen endlich gestrichen werden. Dafür soll zuerst die in den letzten Jahren molochartig-gewachsene Verwaltung ins Visier genommen werden. Zweitens sollten positive Arbeitsanreize geschaffen werden, damit Eltern mit tiefen Einkommen aus der Sozialhilfe herausfinden. Wünschenswert wären ferner längere Ladenöffnungszeiten, flexiblere Anstellungsmodelle sowie die Entbürokratisierung für Kinder- und Haushaltshilfen.

    Deshalb: Die Familien stärken? Ja, auf jeden Fall, das müssen wir. Aber die Initiative ist in dieser Form ein Schuss in den Ofen zugunsten wohlhabender Familien.

    Fiskalpolitischer Sündenfall

    Zum zweiten wesentlichen Punkt: Die steuerliche Freistellung der Kinder- und Ausbildungszulagen würde jährlich zu Mindereinnahmen von rund 1 Milliarde Franken für Bund, Kantone und Gemeinden führen. Bevor ich jedoch hier weiter ausführe, erscheint es mir lohnenswert, einleitend auf einen wichtigen Fakt zur aktuellen Situation der Familien einzugehen.

    Die Kosten für Massnahmen zugunsten von Familien mit Kindern, damit meine ich Unterstützungsleistungen wie Kinderrenten, Prämienverbilligungen, Beiträge an Krippen, Ausbildungs- und Kinderzulagen, Kinder-, Versicherungs- und Fremdbetreuungsabzüge sowie der Elterntarif, belaufen sich heute schon auf insgesamt 9 Milliarden Franken jährlich. Das will heissen, dass in verschiedenen Etappen in den vergangenen Jahren die Haushalte mit Kindern finanziell entlastet worden sind.

    Zurück zur Milliarde: Die Initiative würde nebst den bereits anfallenden Kosten zusätzlich ein Loch von rund 200 Millionen in die Bundeskassen reissen, bei den Kantonen wären es 760 Millionen Franken. Angesichts der Tatsache, dass in über 20 Kantonen zurzeit Sparpakete am Laufen sind, irritiert mich, dass die Initianten bis dato kein Konzept zur Gegenfinanzierung präsentiert haben. Auch der Gegenkommentar enttäuscht: Er trumpft dem zu zahlenden Souverän gegenüber ebenso wenig mit einer Alternative auf und erklärt die karg werdenden Finanzen sogar bedenkenlos zur politischen Feilschware. Wo soll denn gespart werden? Bei der Bildung, im Gesundheitswesen, bei der Sicherheit? Zu feige erscheint das Manöver der Befürworter, zu gewichtig sind Fragen. Sich hier auszuschweigen, ist falsch, es ist vor allem unehrlich.

    Die Lage präsentiert sich bei Betrachten des folgenden Umstandes gar umso drängender: Die Ausfälle sind in den Finanzplänen noch nicht einmal budgetiert. Das bedeutet, dass die Kantone entweder ihre Steuern nach oben anpassen oder ihre Ausgaben drosseln müssten, wollten sie keine Schulden verbuchen. Wer würde also letzten Endes für die unausgegorene Vorlage die Zeche zahlen? Es wären der Mittelstand und die ärmeren Haushalte.

    Auch in diesem Fall manifestiert sich die CVP-Initiative als das, was sie in Wahrheit ist: Ein fauler Zauber. Sie setzt auf Segnung und finanzielle Entlastung, verursacht aber falsche Wirkung und fiskalische Blutung.

    Nicht nur wegen der eindeutigen Faktenlage also, sondern auch im Sinne Kolpings – wonach die Familien die Königinnen der Herzen sind – werde ich mit viel Herz gegen die trügerische Familieninitiative der CVP stimmen.

    Das Pro lest ihr hier

  7. JA zur Familieninitiative: Ein Kommentar

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    Die Familieninitiative der CVP will Kinder- und Ausbildungszulagen von der Steuerpflicht befreien. Ein Anliegen welches intuitiv positiv und verständlich wirkt, beim Betrachten der finanziellen Effekte jedoch auf Widerstand stösst. Die eigentliche Wirkung und Wichtigkeit dieser Initiative kann allerdings erst verstanden werden, wenn wir eine Ebene weiter gehen, und die Abstimmungsvorlage in einen grösseren Kontext setzen.

    Perspektivenwechsel

    Wenn wir die Demografie der Schweiz betrachten, ist zumeist von einer „Überalterung“ die Rede – ich halte dies jedoch für einen fehlleitenden Ausdruck. Er suggeriert, das demografische Problem läge darin, dass es zu viele Alte gibt. Wenn wir jedoch die Bevölkerungspyramide eines Landes betrachten, so liegt der Input, der Punkt an dem ich etwas verändern kann, ganz unten, bei den Babys. Wenn man also kein Befürworter staatlicher Euthanasie ist, erscheint mir Unterjüngung als der treffendere Begriff. Die Unterjüngung der Schweiz ist denn auch ein ernstzunehmendes Problem. Die Baby-Boomer Generation hat eine doppelte demografische Rendite eingefahren, in dem sie während ihrem Arbeitsleben für weniger Alte aus der Kriegsgeneration und weniger Junge aus nachkommenden Generationen aufkommen musste. Jetzt, wo sich die breitesten Jahrgänge der Schweizer Bevölkerung auf die Pension hin bewegen, kommt dafür eine gesalzene demografische Rechnung.

    Theoretisch könnte man die nicht geborenen Schweizer in den kommenden Jahren durch Zuwanderung ersetzen, doch erstens wäre dies reine Symptombekämpfung auf Kosten unserer demografisch nicht besser aufgestellten europäischen Kollegen und zweitens würde eine solche Masseneinwanderung, die es mit den kühnsten blocherschen Albträumen aufnehmen könnte, die Absorptionsfähigkeit der Schweizer Gesellschaft übersteigen und unweigerlich zu kulturellen Spannungen führen. Da kommen „Roboter als die neuen Ausländer“, welche die Baby-Boomer ersetzen also gar nicht so ungelegen. Nichtsdestotrotz, nebst noch nicht automatisierbaren Fachkräften die der Schweiz fehlen werden, brauchen Gesellschaften für eine nachhaltige Bevölkerungsentwicklung langfristig auch schlicht eine Substitutionsrate von rund 2.1 Kindern pro Frau. Eine Fertilitätsrate von 1.52 gibt Schweizerinnen und Schweizern eine Halbwertszeit von weniger als 3 Generationen.

    Positive Externalitäten Internalisieren

    Das die Anzahl Kinder pro Frau heute viel tiefer liegt als zu früheren Zeiten hat verschiedene Gründe. Einerseits hat der Mensch sein eigenes biologisches Anreizsystem ausgetrickst und nimmt sich die hormonelle Belohnung des Fortpflanzungsaktes ohne die zu belohnende Leistung. Andererseits macht es auch auf einer ganz rationalen Ebene alleine schon aufgrund der tieferen Kindersterblichkeitsrate Sinn, heute weniger Nachkommen zu zeugen. Das unsere Fertilitätsrate jedoch so deutlich unter der Substitutionsrate liegt, ist ein Versagen des politischen Systems, welches perverse und äusserst kurzsichtige finanzielle Anreize geschaffen hat gar keine Nachkommen mehr zu zeugen.

    Ein Kind ist alles andere als gratis. Das BFS rechnet mit rund 1000 Franken Aufwand pro Monat und Kind, fügt man jedoch auch noch alle Opportunitätskosten dazu, wird es schnell massiv mehr. Der Beobachter hat ausgerechnet, dass ein Paar mit 3 Kindern ohne Kinder am Ende durchschnittlich fast 1.5 Millionen Franken mehr zur Verfügung hätte. Kinderlose Paare können sich also deutlich mehr Luxus leisten, ein teurer Sportwagen statt ein Familienkombi, Ferien in den Bahamas statt auf dem Campingplatz usw. Heute kann man problemlos ein hedonistisches Leben auf Kosten der Nichtexistenz zukünftiger Generationen führen, ohne dafür selbst einen Preis bezahlen zu müssen. Im Gegenteil, am Ende ernähren, unterhalten und pflegen jüngere Generationen nicht ihre eigenen Eltern, wie das früher üblich war, sondern jene finanziell bessergestellten Alten welche sich selber um kein neues Leben gekümmert haben.

    Ein Kind kostet, indirekte Aufwände eingerechnet, knapp 500’000 Franken, dafür erbringt es später Hand mal Pi (BIP pro Kopf mal Lebenserwartung) mehr als 6 Millionen Franken Wertschöpfung, Kindeskinder, Inflation etc. einmal ausgeklammert. Diese kleine Rechnung soll wirtschaftlich aufzeigen, was eigentlich ohnehin klar sein sollte: Ein Kind ist positiv für die Gesellschaft. Heute sind die „Investionskosten“ in ein Kind aus Sicht der Eltern jedoch immer noch zu einem grossen Teil privatisiert, während der spätere „Gewinn“ solidarisiert ist. Keine Frage, menschliches Leben hat einen inhärenten Wert, der nicht quantifizierbar ist, doch als HSGler ist einem auch bewusst, dass in der Regel nicht moralische Appelle sondern Anreize zu Veränderungen des Verhaltens führen. Wenn man negative Externalitäten wie Umweltschäden oder Lärmemissionen einschränken will, muss man die Urheber finanziell belangen können. Umgekehrt kann eine zu geringe positive Externalität ausgebaut werden, indem sie internalisiert wird.

    Kurz: Für eine nachhaltige Bevölkerungspolitik muss der Staat die unfair verteilten „Kosten und Gewinne“ von Kindern umverteilen. Natürlich beteiligen sich der Staat respektive die Unternehmen auch schon heute an den Kosten für Kinder, doch Kinder- und Ausbildungsgeld zusammengerechnet decken selbst im besten Fall nur etwa die Hälfte der direkten Kosten.

    Staatliche Badewannenförderung?

    Diese Gelder kommen allerdings nicht gratis, denn ein Teil davon muss in Form von Steuern zurück an den Staat, was eine Familie im blödesten Fall gar in eine höhere Steuerkategorie einstuft. Natürlich kann man sich fragen, ob unser Steuersystem nicht ohnehin einmal eine Generalrevision nötig hätte. Schauen wir uns jedoch einmal einfach mit zwei, drei Beispielen an, was der Gesetzgeber denn heute so als notwendige Ausgaben oder fördernswerte Investitionen in die Zukunft betrachtet, welche von Steuern befreit gehören, während es Gelder für die Ausbildung von Kindern nicht sind.

    Der vermutlich grösste Steuerabzug sind Einzahlungen in die 3. Säule. Der Staat denkt also voraus an die Altersvorsorge, super, nur sollte man nicht vergessen, dass es am Ende wohl ein Mensch und nicht ein Bündel Geld ist, welches den Spitexdienst ausführt. Ebenfalls beliebt sind Investitionen in Immobilien, wer in eine Renovation des Badezimmers oder einen Umbau der Küche investiert, kann diesen Betrag in der Regel von den Steuern abziehen. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Das heutige Schweizer Steuersystem wertet Kühlschränke und Badewannen als wichtigere Investitionen in die Zukunft als Kinder. Wobei, so stimmt das auch nicht ganz, denn wenn ich dafür zahle, dass ein Kind in Afrika zur Schule geht, kann ich dies natürlich als Spende von meinen Steuern abziehen, nur beim eigenen Kind in der Schweiz geht dies nicht!

    Vorbild Frankreich

    Ein kleiner Vergleich: Alleine in Nigeria werden pro Jahr beinahe eineinhalb Mal so viele Kinder geboren wie in der gesamten Europäischen Union! Europa entwickelt sich zum Altersheim der Welt und begeht im Zeitlupentempo demografischen Suizid. Ganz Europa? Nein, ein Land trotz der „Japanisierung“ (unterirdische Geburtenrate kombiniert mit einer kulturellen Depression) und hat eine erfolgreiche Geburtenwende geschafft. Wer? Die Gallier natürlich! Und wie haben es die Franzosen wieder auf etwas mehr als 2 Kinder pro Frau gebracht? Finanzielle Anreize. Natürlich nicht exklusiv, doch andere Massnahmen wie Kinderkrippen bietet praktisch jedes europäisches Land an. Was die Franzosen vom Rest abhebt ist ihr enorm kinderfreundliches Steuersystem. Eine Mittelstandsfamilie mit 3 Kindern zahlt in Frankreich praktisch keine Steuern mehr, aus einer solchen Familie kommend, kann ich garantieren, dass dies in der Schweiz eindeutig nicht so ist.

    Natürlich könnte man behaupten Frankreichs System sei sozial ungerecht, weil es mit relativ tiefen Direktzahlungen und hohen Steuerabzügen primär Anreize für die Mittel- und Oberschicht setzt – aus der Perspektive der Fertilitätsrate ist dies allerdings absolut richtig. Derzeit existiert in den meisten westlichen Ländern eine negative Korrelation zwischen IQ und Fertilitätsrate, dass heisst gerade der „bildungsnahe“ Nachwuchs, welcher eine hohe spätere Wertschöpfung für den Staat hat, wird nicht geboren. Man soll sicherlich nicht gleich eine „Idiokratie“ an die Wand malen, doch es ist schlichtweg nicht zu leugnen, dass der Flynn-Effekt in westlichen Ländern beinahe zum Stillstand gekommen zu sein scheint und die dysgenischen Effekte von Immigration und ungleicher Fertilitätsraten in vielen europäischen Ländern überhand gewonnen haben.

    Die Familieninitiative entlastet und fördert Mittelstandsfamilien im Sinne des französischen Steuersystems nur in viel kleinerem Ausmass. Nichtsdestotrotz, würden auch Familien, welche keine Steuern bezahlen auf indirektem Weg von der Initiative profitieren.

    Eine Milliarde für die Zukunft

    Was noch bleibt ist die Kostenfrage. Die Initiative würde gemäss Bundesrat zu Mindereinnahmen von rund 1 Milliarde Franken führen. Dies impliziert entweder einen entsprechenden Staatsabbau oder alternative Einnahmequellen, um den Staat auf dem selben Ausgabenniveau zu halten. Zu welchem Teil wo gespart oder neue Einnahmen generiert werden, gehört zum „political bargaining process“ und es wäre nicht ehrlich hier eine genaue Prognose vorzulegen. Allerdings ist anzumerken, dass diese Milliarde nicht in einem schwarzen Loch versinkt, wenn sie nicht an den Bund abgegeben werden muss, sondern als Konsum inklusive Multiplikator in die Wirtschaft fliesst und letzten Endes teilweise auf indirektem Weg doch noch beim Staat landet.

    Es mutet schon speziell an, wenn die FDP, welche mit der Unternehmenssteuerreform II eine steuerliches Milliardengeschenk an die Unternehmen gemacht hat, oder die SP, welche liebend gerne Milliarden in den Aufbau anderer Länder oder in den Bau des längsten Lochs der Welt steckt (Zum Glück fragt niemand nach was genau diese 24 Milliarden gebracht haben sollen), bei Kindern und Familien, der absoluten Grundlage der Schweiz, plötzlich erkennen, wie unheimlich sparbewusst sie doch eigentlich sind. Eine Annahme der Familieninitiative bedeutet ein Bekenntnis zu Kindern und Familien, zu einer nachhaltigen und fairen Bevölkerungspolitik und zur Zukunft der Schweiz, deshalb werde ich am 8. März ein entschlossenes JA in die Urne legen.

    Das Contra lest ihr hier

  8. „Ich bin ein Präsident des Friedens“

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    Gestern Abend legte der ukrainische Staatspräsident Petro Poroschenko an der Universität Zürich einen Zwischenstopp auf seinem Weg in Richtung WEF ein. Der Ukrainer folgte dabei der Einladung des Europainstituts im Rahmen einer ‘Special Churchill Lecture’. Der Politiker beschwor in seiner Rede viel Idealismus, sagte wenig Konkretes und wurde dazwischen als Kindermörder bezeichnet.

    Dass es sich hier nicht um ein gewöhnliches Politpodium handelte, war bereits vor dem Auftritt von Poroschenko unschwer an der Szenerie zu erkennen: Vor dem altehrwürdigen Jugendstilgebäude des Zentrums der Universität Zürich fanden sich zahlreiche Hochsicherheitskräfte mit ernsten Gesichtern. Ein kleines Grüppchen von Demonstranten stand den Besuchern im Weg, allesamt hielten sie separatistische Flaggen der osteuropäischen Provinzen Donezk und Luhansk in die Luft. Auf den Transparenten war Freiheit, Demokratie und Unabhängigkeit für Donbass! zu lesen.

    Viele Leute kamen zur Veranstaltung. So viele, dass neben dem eigentlichen Vorlesungssaal noch fünf zusätzliche Übertragungssäle bis zu den Grenzen ihrer Kapazitäten gefüllt wurden. Poroschenko wurde vor dem Hintergrund der erneuten Eskalation des Ukraine-Konflikts rund um den Flughafen von Donezk mit Spannung erwartet. Unter das Publikum mischten sich Stadtzürcher Persönlichkeiten. FDP Nationalrat Felix Gutzwiler blickte in der ersten Reihe gespannt zurück in den Saal, auch die Bildungsdirektorin Regine Aeppli war vor Ort und Bundesrat Didier Burkhalter sollte die Eröffnungsrede halten. Den Grossteil des Publikums schienen jedoch ausgewanderte Osteuropäer auszumachen, einige von ihnen mit ukrainischen Flaggen umhüllt.

    Poroschenko selbst liess indes fast eine Stunde auf sich warten. Als er dann endlich den Saal betrat, brach Jubel und Applaus aus, man wähnte sich beinahe in einem Wahlkampf. Die Eröffnung der Veranstaltung übernahm dann der Leiter des Europainstituts in gebrochenem, aber charmantem Denglisch. Danach übernahm Bundesrat Didier Burkhalter, der unlängst zum Schweizer des Jahres gekürt wurde, das Rednerpult. Der Westschweizer sprach zu Beginn seiner Rede denn auch seinen Dank für diese ehrenvolle Auszeichnung aus. Den ukrainischen Staatspräsidenten begrüsste er mit einem „warm welcome“. Danach resümierte der Chef des EDA über den letztjährigen Vorsitz der Schweiz in der OSZE und den Ukraine-Konflikt allgemein. Die Krise im Osten des Landes sei besonders für die Zivilbevölkerung „eine Tragödie“ so Burkhalter. Er rufe alle Konfliktparteien zu äusserster Zurückhaltung auf, um eine weitere militärische Eskalation zu verhindern und diplomatische Lösungen zu finden. Des Weiteren sicherte der Bundesrat der Ukraine anhaltende Unterstützung in mehreren Bereichen zu. Sowohl finanziell wie auch mit humanitärer Hilfe würden Anstrengungen unternommen, um die Situation des Landes zu verbessern. Mit den Worten „die Schweiz bleibt engagiert“ beendete der ehemalige Präsident der OSZE seinen Auftritt und räumte die rhetorische Bühne für den eigentlichen Stargast des Abends.

    Als Poroschenko vor das Publikum tritt, bricht erneut Jubel aus aber auch vereinzelte Buh-Rufe sind zu hören. Das ukrainische Staatsoberhaupt spricht während mehr als 40 Minuten. Die Rede ist geprägt von viel Pathos und der lauten Stimme des Osteuropäers. Inhaltlich erinnert der Grossteil an etwas, dass man so, oder so ähnlich bereits einmal in den Nachrichten vernommen hat. Poroschenko nimmt Bezug auf den Ort der Rede und dessen Bedeutung. Vor über 70 Jahren hielt in diesem Gebäude nämlich der britische Premierminister Winston Churchill seine berühmte Nachkriegsrede, in der sich der Aristokrat für ein vereintes Europa stark machte – ein Europa frei von Konflikten und Kriegen. Poroschenko münzte dieses Ideal eines vereinten Kontinents auf die heutige Situation um. Er fühle sich geehrt an diesem historischen Ort zu sprechen und wie damals sei auch heute ein vereintes Europa von Nöten, um den globalen Terrorismus zu besiegen. So handle es sich bei den Personen rund um den Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo um dieselbe Art von Terroristen, wie im Osten der Ukraine. Das Land gehöre zu Europa und dessen Werten und werde auch für diese kämpfen. „Together we will win this battle“ so die Kampfparole Poroschenkos. Auf diesen etwas wackeligen Brückenschlag zwischen den ISIS-Terroristen und den Separatisten in der Ostukraine folgten Anschuldigungen gegenüber Russland und den Separatisten im Osten. Die gegnerische Seite habe trotz stetiger Bemühungen Kiews keinen einzigen Schritt hin zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts unternommen. So würden die Terroristen mit äusserster Brutalität vorgehen, Morde und der Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 seien nur einige Beispiele. Dabei würden die Kämpfer permanent  von Russland und dessen Waffenlieferungen und militärischen Trupps unterstützt. Er hingegen sei ein Präsident des Friedens und nicht ein Präsident des Konflikts. So befürworte er die Einhaltung der Minsker Verträge und eine sofortige Waffenruhe. Allerdings erwarte er auch einen Rückzug der Truppen aus dem Osten des Landes, sowie freie und faire Wahlen. Dann sei er auch bereit politische Verhandlungen zu führen.

    Mitten in der Rede stand eine Frau auf und schrie, dass sie keinem Mann zuhöre, der Kinder ermorde. Augenblicklich buhten andere Zuhörer die Protestierende nieder. Während die Frau mit nachdrücklicher Höflichkeit aus dem Saal geführt wurde, entgegnete der Präsident mit einem Lachen: „In Russland wäre solch eine freie Meinungsäusserung niemals möglich.“ Applaus und Gelächter. Poroschenko fuhr nun mit seinen ehrgeizigen ökonomischen Plänen für die Ukraine fort. Bis 2020 seien die notwendigen Bedingungen für einen EU-Beitritt der Ukraine zu erreichen. Die Energieunabhängigkeit von Russland sei gar innert vier Jahren möglich. Mittels umfassenden wirtschaftlichen Reformen wolle er das Land von Korruption befreien und mit unternehmensfreundlichen Massnahmen fit für den internationalen Wettbewerb machen.

    Zum Schluss kam Poroschenko nochmals auf das Ideal eines vereinten Europas zurück: „Churchills Traum ist nun Wirklichkeit geworden“. Mit siegessicherer Entschlossenheit fügte er hinzu: „Slava Ukraini“-„Heil Ukraine“.

  9. Kantianischer Akademiker in Südkalifornien

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    Der Akademiker und Politikwissenschaftler Ronald Bee lehrt seit über 15 Jahren an der San Diego State University in Südkalifornien. prisma traf den Professor und sprach mit ihm über die europäische Identität, die politische Wirkung von Mehrsprachigkeit und warum Amerikaner nicht wählen gehen.

    Ich treffe Ronald Bee in seinem Büro auf dem Campus der SDSU. Der nüchtern eingerichtete Raum bietet kaum mehr als zwei Personen Platz und scheint ein begehrter Ort auf dem Campus zu sein. Nach dem Interview steht knapp ein Dutzend weiterer Studenten Schlange, um eine Audienz beim gebürtigen Kalifornier zu erhalten.

    Bee selbst spricht in angenehm ausformulierten Sätzen, wie man sie sonst nur in den Nachrichten, oder eben von einem erfahrenen Pädagogen vernimmt und besitzt das sympathische Lächeln eines amerikanischen Politikers. Der grosse, gepolsterte Ledersessel, in den er sich entspannt zurücklehnt, komplettiert diesen Eindruck. Nach einer entsprechenden Geste setze ich mich ebenfalls und wir beginnen unser Gespräch.

    Gebürtiges zoon politikon

    Dass Ronald Bee gerade in der Politikwissenschaft gelandet ist, war bereits früh in seinem Leben absehbar. Seit jeher habe er sich im akademischen Bereich für Politik interessiert. «Ich kandierte bereits in der Grundschule für das Amt des Schülersprechers. Dasselbe tat ich dann auf der Highschool und im College» erzählt Bee und fügt mit einem gewissen Stolz an «und habe auch jedes Mal gewonnen.» So erschien es schlicht als logische Konsequenz, nach dem College gen Washington D.C. aufzubrechen, um für jene Männer zu arbeiten, welche die Geschicke des ganzen Landes lenken. Von Anfang an habe ihn die Aussenpolitik jedoch mehr gereizt als die inneren Angelegenheiten. Diese Neigung erklärt sich Bee vor allem durch seine Faszination für fremde Sprachen: «Ich war seltsam als Jugendlicher. Statt wie alle anderen Spanisch, wollte ich Französisch und Deutsch lernen, wie mein englischer Grossvater.»

    Sehnsuchtsziel Europa

    Die Ambition, diese beiden Sprachen auch wirklich zu beherrschen, trieb den Amerikaner dann auch früh auf den europäischen Kontinent. «Für mich war es stets ein Imperativ, an einem Ort zu leben, wo die zu erlernende Sprache auch wirklich gesprochen wird. Nur so versteht und lernt man diese auch richtig», stellt der Professor bestimmt fest. Bereits während seiner Studienzeit an der University of California nutzte er die Gelegenheit, um ein Austauschsemester im französischen Grenoble zu absolvieren. Dies sei eine immens wichtige Erfahrung für seine Sprachkenntnisse gewesen und habe zusätzlich seine Wanderlust geweckt. Zu diesem ersten Aufenthalt kamen deshalb ein Jahr Arbeitserfahrung im Büro des Berliner Bürgermeisters in Deutschland sowie zahlreiche weitere Reisen hinzu, sodass Bee insgesamt sechs Jahre auf dem alten Kontinent verbrachte.

    Europäische Kultur ?

    Auf die Frage, was er denn von der europäischen Kultur halte, gibt Bee eine Antwort, zu der nur ein Amerikaner fähig ist, der die Europäer wirklich verstanden hat: «Gibt es denn überhaupt eine europäische Kultur?» Gemäss seiner Erfahrung, sollte man vielmehr von einer britischen, belgischen oder französischen Kultur sprechen, da sich die Länder in so vielen Hinsichten unterscheiden. Eine derart differenzierte Antwort hört man hier in Kalifornien eher selten, wo Europa gemeinhin als föderalistisches Pendant zu den USA wahrgenommen wird.

    Einige Gemeinsamkeiten findet Bee dann aber doch noch: «Europäer witzeln ständig über ihre Nachbarn. Die Franzosen über die Briten, die Westschweizer über die Deutschschweizer oder die Deutschen über die Italiener.» Das Verständnis für diesen Humor habe ihm den Zugang zu den unterschiedlichen Kulturen wesentlich erleichtert. Auch die Mehrsprachigkeit, die viele Europäer eigen ist, sieht er als verbindendes Element.

    Sprache als politisches Hindernis

    Den amerikanischen Spitzendiplomaten in Europa attestiert Bee indes ein schlechtes Zeugnis. «Ich sehe es als politisches Problem wenn der russische Botschafter an einer Sicherheitskonferenz in Berlin fliessend Deutsch spricht und unser amerikanischer Vertreter nicht über ein Guten Tag hinauskommt» kritisiert Bee. Ähnliches habe er auch bei einem Interview in Frankreich erlebt. Aufgrund seines einwandfreien Französischs, fragten ihn die Franzosen kurzerhand, weshalb nicht er den Posten des amerikanischen Botschafters innehätte. Den Amerikanern fehle sowohl das Interesse als auch die Notwendigkeit mehr als eine Sprache zu lernen. «Langfristig muss sich das ändern», postuliert der Kalifornier.

    Aversion zur Regierung

    Neben dem Monopol der englischen Sprache analysiert der Politikwissenschaftler auch das Phänomen der stets niedrigen Wahlbeteiligung der Amerikaner in den Midterms, den alle vier Jahre stattfindenden Kongresswahlen.

    Bee nennt drei Hauptursachen: Erstens sei die amerikanische Mentalität seit jeher von einer Aversion für die Zentralregierung geprägt. «Wir sind selbständig und brauchen keine fremde Hilfe», so das Credo der meisten Amerikaner. «Des Weiteren grassiert in den USA eine starke Form der Betroffenheitsdemokratie» führt er weiter aus. Solange es den amerikanischen Bürger nicht betrifft geht er auch nicht wählen. Den dritten Grund sieht der Akademiker in der Polarisierung des politischen Prozesses. Der Graben zwischen den beiden Parteien sei mittlerweile derart gross geworden, dass objektive Politik kaum noch möglich sei. «Nicht einmal das Staatsbudget wurde in der gegebenen Zeit ratifiziert», ärgert sich Bee. Dies führe zu einem beinahe kafkaesken Misstrauen in die Funktionalität der Regierung. Doch er sieht auch produktive Reaktionen auf diese Entwicklung: «In Zukunft werden die Wähler unabhängiger Kandidaten zunehmen.»

    Mit Blick auf die Uhr und einem freundlichen Händedruck beenden wir das Gespräch und ich zwänge mich an den draussen wartenden Studenten vorbei. Als ich in die strahlende südkalifornische Sonne trete, bleibt mir neben meinem bescheidenen Englisch eine Erkenntnis: Auch hier an der weltfernen, pazifischen Küste finden sich kritische und aufgeklärte Geister, die sich Gedanken über das politische Geschehen machen und den Unterschied zwischen Westschweizern und Deutschschweizern kennen. Kant wäre beeindruckt.