Pfarrer trifft Neonazi

Neben dem lauten Jahrmarktsgetümmel rund um die OFFA ist im Theater
St. Gallen das Stück «Adams Äpfel» angelaufen. Der Besuch der brutalen Inszenierung mit komödiantischen Momenten lohnt sich. Ein Review.

Das Theater-Quartier ist zu dieser Jahreszeit belebt wie nie sonst. Der Jahrmarkt im Rahmen der Frühlingsausstellung zieht die Massen an und bringt einen Hauch von Grossstadt ins beschauliche St. Gallen. Während die einen auf den Beginn der Abendvorstellung warten, ist auf dem OFFA-Gelände offenbar Schichtwechsel: Die Familien mit Kindern, Luftballons, Einkaufstaschen und der einen oder anderen Zimmerpflanze machen dem angeheiterten, lautstärkeren Publikum Platz. Die beiden Ströme ziehen gleich gegenüber des Theatereingangs aneinander vorbei. Fast bewacht oder unter der Aufsicht des in die Jahre gekommenen Stadttheaters.

«Kommt zusammen»

Das Publikum bleibt in überschaubarer Zahl. Die durchwegs positiven Kritiken des Stücks hätten anderes erwarten lassen. Wohl doch eine Machtdemonstration der Ostschweizer Trinkfreudigkeit? Kaum auf dem Sessel platz genommen und schon mitten drin: Landpfarrer Ivan (Oliver Losehand) begrüsst das Publikum herzlich. Er fordert alle auf, in die vorderen Reihen zu kommen. «Meint er das jetzt ernst?», höre ich hinter mir. In der neuen Sitzordnung geht die Interaktion auch gleich weiter. Wenige Minuten nach Beginn des Stücks schnippst und singt das Publikum zusammen mit Pfarrer Ivan im Stadttheater St. Gallen. Ein aussergewöhnlicher Start in ein aussergewöhnliches Stück.
Auf der Bühne findet sich eine alte Kirche und davor ein Apfelbaum. Das Ganze ist drehbar und wird so schnell zum Innenraum derselben umfunktioniert. Eine Art Wohnzimmer, wo die Schützlinge des Resozialisierungspfarrers Ivan leben: Gunnar (Matthias Albold) – ein diebischer Alkoholiker und Kahlid (Kay Kysela) – ein arabischer Tankstellenräuber mit starkem Akzent. Das Stück nimmt an Fahrt auf, als ein neuer Bewohner dazu stösst. Auch Adam (Christian Hettkamp) ist auf Bewährung draussen. Der hochgewachsene, schlanke Mann mit kurzem blonden Haar, Seitenscheitel und «Mein Kampf» Tätowierung ist ein Vorzeige-Neonazi. Die Handlung scheint bereits vorgezeichnet zu sein: Ein moralisch überlegener Pfarrer trifft auf einen asozialen Extremisten und führt ihn auf den Weg des Glaubens und so zur Besserung. So einfach ist es dann natürlich doch nicht.

Illusion trifft Realität

Ivan stützt seine unermüdliche, fast übertriebene Lebensfreude, auch von Berufswegen, auf seinen Glauben. Der sarkastische Vorschlag Adams bezüglich seines Therapie-Ziels – einen Apfelkuchen zu backen – wird von Ivan ernst genommen. Schnell stellt man fest, dass die von ihm angepriesenen Therapieerfolge der anderen zwei Bewohner in Wirklichkeit nur in Ivans subjektiver Realität existieren: Gunnar trinkt nach wie vor und auch Kahlid «besucht» immer noch regelmässig Tankstellen. Als Ivans angeblich gesunder Sohn dem Publikum wortwörtlich vorgeführt wird, nimmt der Grad an Realitätsverlust noch weiter zu.
Wie Adam plötzlich mehr und mehr die Rolle des Therapeuten übernimmt, wie seine ehemaligen Szenen-Kollegen seine Entwicklung aufnehmen und wie am Ende doch noch ein Apfelkuchen gebacken wird, ist noch bis zum 17. Mai im Stadttheater St. Gallen zu sehen.


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