Von Xenu und den Thetanen

Scientology ist eine der bekanntesten Sekten überhaupt. Doch was verbirgt sich hinter dieser Organisation? Daniel Gutzwiller hat recherchiert.

Fast jeder hat schon einmal von Scientology gehört. Merkwürdige Dinge sollen in dieser Organisation vor sich gehen. Doch die Öffentlichkeit weiss immer noch erstaunlich wenig über die Sekte. Deshalb hier ein Versuch, die Organisation möglichst sachlich nach den öffentlich zugänglichen Informationen zu beschreiben. Der Autor ist jedoch nach wie vor der Auffassung, dass Scientology eine totalitäre und sehr manipulative Organisation ist.

An das glauben die Anhänger

Die Mythologie von Scientology mutet ein wenig wie ein Science Fiction Roman an. In der Tat war der Gründer von Scientology, L. Ron Hubbard, zunächst als Science Fiction Autor tätig. Zentrales Element in der Scientology-Lehre ist das Konzept der Thetanen, welche man sich als eine Art Ausserirdische vorstellen muss. Vor 75 Millionen Jahren verschleppte angeblich Xenu, ein «böser» intergalaktischer Herrscher, einige Ausserirdische von weit entfernten, überbevölkerten Planeten auf die Erde. Er lähmte sie mit Alkoholinjektionen und platzierte sie in der Nähe von Vulkanen, die er dann in die Luft sprengte. Die Seelen der Ausserirdischen, die Thetanen, überlebten, waren jedoch nun von ihren Körpern getrennt. Xenu «saugte» daraufhin die Thetanen ein und unterzog sie mehreren Gehirnwäschen, wodurch die Thetanen verwirrt wurden und unter anderem auch an die heutigen Weltreligionen zu glauben begannen. Die völlig traumatisierten Thetanen irrten anschliessend auf der Erde umher und sammelten sich in den wenigen Körpern, welche die Explosionen überlebt hatten. Nach Scientology sind also die Menschen von Thetanen «besessen». Scientologen wollen die ursprünglichen Fähigkeiten eines Thetans wiedererlangen. Dazu folgen sie der von Hubbard entwickelten, als Dianetik bezeichneten Lehre.
Scientologen sind der Ansicht, dass die Thetanen, die sich innerhalb eines jeden Menschen befinden, durch psychologische Behandlungen, durch Alkohol und Drogen sowie durch Religion weiter verwirrt werden. Auch die Schreie einer Mutter während der Geburt könnten die Thetanen des Kindes weiter traumatisieren. Scientologen befürworten daher eine Geburt in absoluter Stille, bei der die Mutter möglichst nicht schreien sollte.

Die gängigsten Praktiken

Dank verschiedener geistiger Reinigungs- und Bearbeitungsprozesse, welche Scientology gegen Entgelt anbietet, kann das Mitglied den Zustand «Clear» erreichen. In diesem Zustand soll die Person frei von Neurosen, Zwängen und anderen psychischen Krankheiten sein und eine perfekte emotionale Intelligenz besitzen. Der Versuch, der Öffentlichkeit einen «Clear» zu präsentieren, ist bis jetzt jedoch nicht gelungen. Zur völligen Befreiung des Thetans und zur Erlangung von transzendentalen Fähigkeiten sollte der Scientology-Anhänger nun jedoch noch acht «Operating-Thetan-Stufen» durchlaufen – Stufe acht hat aber bisher noch kein Scientologe erreicht. Wichtig zur Erlangung von «Clear» ist eine als «Auditing» bezeichnete Technik. Darunter wird ein Gespräch zwischen der «Pre-Clear»-Person und einem «Auditor» verstanden. Dabei sollen die negativen Auswirkungen des traumatisierten Thetans verringert werden.
Beim Auditing wird ein so genanntes E-Meter verwendet. Dieses Gerät misst Veränderungen des elektrischen Widerstands der Haut und soll so emotionale Spannungen und aufgestaute Energien feststellen.

Das kostet der Spass

Eine Therapie kann zwischen 40 und 500 Franken pro Stunde kosten, in höheren Zentren sogar 1’200 Franken. Ein modernes E-Meter kann man für 4’700 Franken kaufen. Bücher, welche zu vielen Kursen gekauft werden müssen, kosten zwischen 50 und 200 Franken, ein Set mit 10 Kassetten kostet etwa 300 Franken. Fortgeschrittenen-Kurse können 1’500 Franken und mehr kosten. Ein aktiver Scientologe gibt so in den ersten zehn Jahren durchschnitttlich ungefähr 100’000 bis 200’000 Franken aus. Dies führt bei vielen Mitgliedern zur Verschuldung. Mitarbeiter von Scientology werden nach ihrer Leistung und ihren Erfolgen entlöhnt. Es besteht also ein finanzieller Anreiz, möglichst viele Kurse zu verkaufen.

Die Feindbilder der Scientologen

Scientologen haben klare Feindbilder: Psychologen, Psychiater und Kirchen. Diese sind schuld an der anhaltenden Traumatisierung der Thetanen. Auch Kritiker und Medien werden oft als Teil einer riesigen Verschwörung gesehen. Selbstkritik und Hinterfragung der eigenen Methoden sind daher im Umfeld von Scientology oft schwierig. Es ist gängige Praxis von Scientology, ihre Kritiker mit einer Reihe von Prozessen und Klagen einzudecken. Dabei ist es egal, ob die Klagen Aussicht auf Erfolg haben.

Das meinen Kritiker

In der Schweiz ist Scientology vielfach durch ihr aggressives Anwerben von Neumitgliedern aufgefallen. In mehreren Fällen haben die schweizerischen Behörden das Anwerben mit Handzetteln und Persönlichkeitstests durch Scientology eingeschränkt.
In Australien wurde die Gruppierung schon 1965 von einem Untersuchungsausschuss unter die Lupe genommen. Dieser schrieb in seinem Bericht unter anderem: «Es gibt einige Züge von Scientology, die so absurd sind, dass eine Tendenz bestehen könnte, Scientology als lächerlich zu betrachten und ihre Praktiker als sonderbare Eigenbrötler. Dies zu tun, würde bedeuten, die wesentlichen Schlussfolgerungen des Ausschusses auf gravierendste Weise zu missverstehen.»
Für einen Artikel im Stern (sehr empfehlenswert, nachzulesen unter http://www.stern.de/politik/deutschland/:Sekte-/620966.html?q=scientology) liess sich der Journalist Fredy Gareis fünf Monate lang von Scientology anwerben. Im Text beschreibt Gareis, wie er von Scientology-Mitarbeitern massiv zur Absolvierung weiterer Kurse gedrängt wurde. Teilweise wurde er im Minutentakt angerufen, auch spät in der Nacht. Als er als Entschuldigung die Skepsis seiner Freundin anführt, kommen die Mitarbeiter auch zu ihm nach Hause, um seine Freundin zu «handhaben».
Auch andere Kritiker und Aussteiger berichten, dass Scientologen ihre Mitglieder psychisch massiv unter Druck setzen und sie von ihrem skeptischen Umfeld zu isolieren versuchen. Zudem können viele Mitglieder die Kosten für die Kurse nicht aufbringen und müssen sich massiv verschulden.

Scientology in der Schweiz

Scientology betreibt in der Schweiz heute 13 Kurs- und Therapiezentren sowie zwei Drogenrehabilitationszentren. Die Mitgliederzahl wird auf 2’000 geschätzt, rund 250 davon sind Mitarbeiter. Der Jahresumsatz der Organisation beträgt schätzungsweise 10 Millionen Franken.
Die Bundespolizei fedpol informiert sich regelmässig über die Aktivitäten von Scientology. Zwar sieht sie in der Organisation Züge eines totalitären Systems. Dennoch sieht die fedpol von einer dauernden Beobachtung durch präventive Polizei ab.


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