«Wenn man noch nie richtig auf die Schnauze gefallen ist, hat man zu wenig riskiert»

Wir sprechen mit Lukas Müller, dem jungen Assistenzprofessor für Wirtschaftsrecht bei einem Bier über Erfolg und Misserfolg, die ideale Wissenschaft und Game of Thrones

Die letzten Strahlen der kühlen Frühlingssonne erreichen kaum mehr die enge Gasse, zweistöckige, dichtgedrängte Altstadthäuser werfen schon lange Schatten. Wo die Gasse auf einen kleinen Platz, das sogenannte «Bermuda Dreieck» führt, treffen wir uns mit Lukas Müller. Da er in Zürich wohnt und St. Gallen noch nicht so gut kennt, suchen wir zusammen eine Bar aus – klein, kaum drei Meter breit – und steigen eine enge Treppe in den ersten Stock hoch, in dem sich ein Fumoir mit einer dunkelblauen Decke mit kleinen Leuchtdioden darin befindet. Ein grosses, modernes, gläsernes Regal nimmt die eine Seite der Wand ein, in dem sanft beleuchtet Whiskys und Spirituosen stehen. Der Blick aus den Fenstern führt auf das Treiben in der kleinen Gasse. Wir setzen uns und bestellen ein Bier. «Was trinkt man denn so in St. Gallen?» fragt Lukas Müller und wir einigen uns auf das Säntis-Kristall, ein Bier der Brauerei Locker im Appenzell.

Ein effizienter Schüler

Dieses Treffen, das so spontan zustande gekommen ist, steht auf eine Weise symbolisch für den Lebensweg Lukas Müllers, derzeitig Assistenzprofessor für Wirtschaftsrecht, der im idyllischen Sarnen in der Zentralschweiz aufwuchs. Damals, nach der Matura, war ihm noch überhaupt nicht klar, welches Fach er wählen würde. Aber eines wusste er: Er wollte studieren. Seine beiden älteren Brüder studierten bereits in Zürich und Freiburg; ihnen wollte er nacheifern. Hätte man allerdings damals seine Lehrer vom Gymnasium gefragt, hätte man nicht gedacht, dass er das erste Jahr an der Uni überstehe, kommentiert er lachend. «Ich war ein effizienter Schüler, der grade noch das an Leistung für die Matura erbracht hat, was nötig war. Der Stoff damals hat mich nicht sehr interessiert.» An der Uni sollte sich das grundlegend ändern. Als Lukas Müller an der Reihe war, einen Studiengang zu wählen, standen gemäss Ausschlussverfahren Germanistik, Psychologie, Wirtschaftswissenschaften und Rechtswissenschaften zur Auswahl. «Dann habe ich Lose gezogen und da waren es die Wirtschaftswissenschaften!»

Innere Begeisterung

Liest man die biographischen Daten passt diese arbiträre Methode so gar nicht zu Lukas Müller: Master in Wirtschaftswissenschaften an der UZH, Stipendiat des Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, Lizenziat der Rechtswissenschaften, dazwischen noch Promotion, und schliesslich Master of Laws an der Columbia Universität und aktuell die Habilitation. Will man Lukas Müller verstehen, muss man seinen Drang als Forscher und vor allem als Jurist verstehen. Während des Doktorratsstudiums besuchte er in Zürich eine vierstündige Vorlesung zum römischen Zivilrecht auf Anraten eines Bruders. Er dachte sich: « Ich gehe da mal rein und dann nach 45 Minuten wieder raus.» Doch daraus wurde nichts. Lukas Müller lacht: «Ich bin eben schnell begeisterungsfähig». So entschied er sich kurz darauf für ein weiteres Studium der Rechtswissenschaften. Wenn es damals schon den Studiengang Law & Economics gegeben hätte, hätte er sich dafür entschieden. Mittlerweile steht das Bier auf dem Tisch und wir stossen an. Lukas Müller immer mit einem Lächeln.

Erfolg und Scheitern

Dabei ging sein studentisches Leben keineswegs immer nur geradeaus. Es gab immer wieder Momente in seinem Leben, in denen es lange nicht so aussah, als wenn er diesen Weg begehen würde. Auch wenn es ihn schon immer in die Forschung gezogen hat, ist er im Nachhinein selbst erstaunt, dass er Übungsleiter für Mikro II und Makro II während des Studiums an der UZH wurde. «Im ersten Jahr meines Bachelorstudiums habe ich alle Prüfungen grandios gefailt. Danach habe ich mich hingesetzt und gelernt und wurde eben in jenen Hauptfächern Übungsleiter.» Wenn er eine Liste machen müsste, was schon alles schiefgegangen sei, wäre es eine lange Liste. Aber darum geht es ihm nicht. Wichtig ist ihm – auch bei seinen Studenten – immer wieder aufzustehen, Dinge zu hinterfragen und die Begeisterung nicht zu verlieren. «Man lernt am besten, wenn man etwas probiert, auf die Nase fällt, aufsteht und weitermacht.»

Wissenschaft und Praxis

Diese Kritik, aber auch diese positive Grundhaltung für sich selbst, hat Lukas Müller auch für sein politisches Engagement verinnerlicht. Freiheitlich, liberal, unternehmerisch sei er, aber einer Partei fühle er sich nicht zugehörig. Politisch sei er schon, nur halt im konkreten Einzelfall und nicht im allgemein Gesellschaftspolitischen. Vor allem in Bezug auf die Forschung wird das deutlich: «Forschung kann nicht Selbstzweck sein und daraus bestehen, dass man in Journals publiziert, damit man bibliographisch in den Rankings anerkannt ist. Forschung muss für die Praxis vorausdenken, damit man etwas bewirken kann.» Deswegen auch der ständige Wechsel zwischen Theorie und Praxis. Praxis sei für ihn Inspirationsquelle, wobei ihn vor allem die Zeit als Gerichtsschreiber beim Kantonsgericht Obwalden beeinflusst habe. Seine Tätigkeit dort habe ihn mit allen Bereichen des Lebens konfrontiert, angefangen vom Ausländerrecht, Arbeitsrecht, Familienrecht, Mietrecht, Wirtschaftsrecht bis hin zum Strafrecht.

Ein Sport für richtige Männer

Bis heute ist Lukas Müller seiner Heimat treu geblieben. Um dem urbanen Trubel zu entfliehen, fährt er hin und wieder in die Zentralschweiz zum Skifahren, wobei er sich als «moderaten Skifahrer für zentralschweizer Verhältnisse» beschreibt. Weiter hinaus zieht es ihn im Moment nicht. Viel eher ist Lukas Müller jemand, dem es zusagt, eine Landschaft tiefer wahrzunehmen, als dies im Urlaub möglich ist. So hat er nicht nur eine Zeit lang in New York, sondern auch in München gelebt. Kurze Urlaube zieht er daher grossen vor, reist immer noch in die USA und war erst vor zwei Jahren das erste Mal in London.
Wenn es um Sport geht, bleibt er Zürich treu. Er ist Fan von den Grasshoppers, «allerdings spielen die in letzter Zeit nicht mehr so gut.» Seine zweite sportliche Liebe gilt dem Eishockey, das im Vergleich zu Fussball «ein Sport für richtige Männer ist. Die sind nicht so wehleidig.» Persönlich tendiert er neben dem Skifahren dann aber doch zum Fussball, denn er gesteht: «Ich laufe miserabel Schlittschuh.»

Tyrion und die Zukunft

Gerne liest er Fachliteratur in seiner Freizeit und sieht auch das Unterrichten als seine Leidenschaft. «Gewisse Leute machen gerne Kreuzworträtsel, ich mache eben das», sagt er und verweist damit indirekt an seinen Lieblingscharakter aus Game of Thrones, Tyrion. «Der ist eigenständig, wortgewandt, intelligent und wird doch als Kleinwüchsiger oft unterschätzt.» Bis auf das «kleinwüchsig» erinnern diese Charaktereigenschaften ein wenig Lukas Müller.
Wo er in fünf Jahren stehe, weiss Lukas Müller dann noch nicht so genau. Erstmal will er seine Habilitation abschliessen und in Forschung und Lehre tätig sein. «Doch das soll keine Absage an die Praxis sein.»

Bild: Alessandro Massaro


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