Religionskrieg im Wohnzimmer

Dass wir uns auf etwas gefasst machen mussten – darüber waren wir uns im Klaren. Aber was sich dann für Szenen auf der Leinwand abspielten, während der Projektor Paradies: Glaube auf ebendiese projizierte… Paradies: Glaube ist der zweite Film der Paradies-Trilogie von Ulrich Seidl. Diesmal wird die Geschichte von Anna Maria, der Schwester von Teresa aus Paradies: Liebe, erzählt. Bereits der Filmeinstieg zeigt, Anna Maria ist streng religiös und gottesfürchtig. So peitscht sie sich selbst aus, um Jesus ihr tägliches Opfer darzubringen. Von ihrer Arbeit in der Röntgenstation eines Spitals hat sie sich frei genommen und verbringt ihre Ferien damit, mit einer Marienstatue durch ärmere Viertel der Stadt zu ziehen und die Menschen zu bekehren.

Dabei geht sie energisch und resolut vor und überrumpelt die Hausbewohner. Halb animiert, halb zwingt sie sie zum gemeinsamen Gebet und deponiert die Figur der Maria für jeweils zwei Wochen in einer Wohnung – schliesslich handelt es sich um eine Wanderstatue. Schafft sie es nicht, ihr Tageswerk zu erfüllen, fällt ihr Opfer an Jesus jeweilen umso grösser und schmerzhafter aus. Spätestens wenn man den Gebetskreis von Anna Maria kennenlernt, der regelmässig in ihrem Keller betet und Jesus schwört, Österreich wieder katholisch zu machen, wird einem als (atheistischer) Zuschauer klar – die Dame hat ein Rad ab oder zumindest mehrere Tassen nicht im Schrank. Mit ihrer Hochsteckfrisur, die so viel Haarspray benötigt, dass sie wohl allein für das halbe Ozonloch verantwortlich gemacht werden könnte, den hängenden Hundeaugen und ihrem übergläubigen Gebaren ist sie keine Sympathieträgerin. Im Gegenteil, Maria Hofstätter ist für die Verkörperung dieser Rolle wahrlich ein Orden anzuheften; nicht jede könnte derart überzeugend Abscheu wecken, in der Liebe ihrer Rolle zu Jesus derart subtil eine sexuelle Note schaffen und mit einem Kruzifix masturbieren. Hier stellt sich als Zuschauer dann doch die Frage – war jetzt die Gruppensexszene im Park oder dieser Selbstbefriedigungseinschub verstörender?

Sobald man sich an den Glauben und seine Auswüchse der Hauptfigur gewöhnt hat, sitzt plötzlich Nabil im Wohnzimmer. Querschnittsgelähmt und an den Rollstuhl gefesselt, ist er das pure Gegenteil zu seiner Frau – Muslim. Erst im Verlauf der Geschichte erfährt man, was es mit den beiden auf sich hat, doch von Beginn an ist eins klar: Nabil stört. Er passt nicht in die mit Kreuzen und Papstbildern vollgehängte Wohnung, passt nicht zu Annas christlichem Gesang und ihrem Keyboardspiel. Der Krieg zwischen den beiden wird offen geführt und macht auch vor körperlicher Gewalt nicht Halt. Dabei ist Nabil keineswegs “besser” als sie, wenn man das denn überhaupt so sagen kann. Er flucht und trinkt, zwingt ihr seine Denkweise auf, genauso wie sie ihm ihre.

Seidl lässt viel Interpretationsspielraum in der szenischen Umsetzung des Films. So zeigt er Anna Maria meist von hinten oder der Seite – distanziert von der Welt. Auch die Jalousien sind im “Gebetszimmer” immer runtergelassen – ein Blick nach draussen. Mit dem Ende regt er zwar zum Nachdenken an, dennoch ist die Geschichte irgendwie unfertig, es fehlt der Sinn des Ganzen. Die Erkenntnis, dass es bei diesem Streit keinen Gewinner geben kann – ernüchternd.  So heisst es warten auf den dritten Teil, Paradies: Hoffnung, und hoffen, dass er dem ersten Teil wieder ebenbürtig ist.

______________________________________________

MEHR DAZU


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*